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Diskussion über NS-StraßennameVarel kommt nicht aus der Kriegsverbrecher-Sackgasse

In der Tradition der NS-Propaganda heißt in Varel bis heute eine Straße nach Friedrich Bonte. Die Grünen wollen das ändern, die anderen nicht.

Brennende Schiffe im Hafen während der zwei Monate dauernden Schlacht um Narvik beim deutschen Überfall auf Norwegen 1940 Foto: Franz Hollerweger/Wikimedia Commons/CC BY SA 2.0

Eine richtige Sackgasse ist die kurze Kommodore-Bonte-Straße in Varel am Jadebusen nicht. Denn am Ende gibt es eine Kehre, an der man einmal im Kreis fahren kann, um nach 150 Metern wieder am unscheinbaren blauen Straßenschild vorbeizukommen. Das passt gut zur politischen Debatte über den Namen der Straße. Denn die, erstmals 1999 angestoßen, kommt seit Jahren nicht so richtig vom Fleck.

Dieses Jahr haben die Grünen erneut die Initiative ergriffen. Der Rat der Stadt befasst sich nun am 18. Dezember mit ihrem Antrag, die nach dem Marineoffizier Friedrich Bonte benannte Straße umzubenennen.

Bonte habe sich durch seine Mitgliedschaft in einem Freikorps nach dem Ersten Weltkrieg „eindeutig als Antidemokrat erwiesen“, sein Name sei „nach seinem Tod für die Heldenverehrung und die Ideologie des NS-Regimes“ benutzt worden, schreiben die Grünen in ihrem Antrag vom September. „Dieser Sachverhalt ist für eine demokratisch verfasste Stadtgesellschaft wie Varel nicht tragbar“.

Stattdessen solle die Straße nach dem norwegischen Komponisten Edvard Grieg benannt werden, weil auch die Nachbarstraßen Namen von Komponisten tragen, Mozart und Beethoven etwa.

Noch mehr problematische Straßennamen

Ebenfalls umbenennen wollen die Grünen die Hindenburgstraße in Varel – in Willy-Brandt-Straße. Aus militärgeschichtlicher Sicht sei das Festhalten am Namen Hindenburg nicht mehr haltbar, schreiben sie in einem zweiten Antrag.

In der Bundeswehr gelten Bonte und Hindenburg, der letzte Reichspräsident, der Hitler zum Reichskanzler ernannte, nach einer Überprüfung als nicht mehr den Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege von 2018 entsprechend. Im September hatte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) deshalb die Munsteraner ehemalige Hindenburg-Kaserne in Unteroffizier-Friederike-Krüger-Kaserne umbenannt.

Bonte, der 1940 beim deutschen Überfall auf Norwegen fiel, war als Kommodore an der Planung und Durchführung des sogenannten Unternehmens Weserübung beteiligt, mit der das nationalsozialistische Deutschland das neutrale Norwegen und Dänemark überfiel. Er führte den deutschen Flottenverband, der den Hafen von Narvik angriff, und kam dort bei Gefechten ums Leben.

Zuvor hatte Bonte 1919 nach dem Ersten Weltkrieg im Freikorps Marine-Brigade Ehrhardt gekämpft, das vor allem bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik eingesetzt wurde.

Bonte habe sich durch seine Mitgliedschaft im Freikorps eindeutig als Antidemokrat erwiesen, sein Name sei „nach seinem Tod für die Heldenverehrung und die Ideologie des NS-Regimes“ benutzt worden, schreiben die Grünen in ihrem Antrag

Unter Fach­his­to­ri­ke­r:in­nen ist die historische Bewertung Bontes weitgehend unumstritten. Er war Teil der militärischen Führung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges. Zwar gibt es keine Hinweise darauf, dass Bonte zu den ideologischen Hardlinern des Regimes zählte, doch seine militärische Rolle ist klar: Er handelte im Dienst einer verbrecherischen Kriegsführung.

Noch während des Krieges stilisierte das NS-Regime Bonte zum Helden, zahlreiche Straßenbenennungen gehen auf diese propagandistische Aufladung zurück. Die Kommodore-Bonte-Straße in Varel wurde 1941 benannt.

Umbenennung ist unwahrscheinlich

Dass die beiden Straßen in Varel nun umbenannt werden, ist unwahrscheinlich. Alle anderen Fraktionen unterstützen den Antrag der Grünen nicht. Die SPD, im Rat die größte Fraktion, hat einen Alternativantrag eingereicht und möchte erst mal eine stärker moderierte Debatte und die Bür­ge­r:in­nen einbinden.

Denn im Zuge der Diskussion um die Umbenennungen hatte die Stadtverwaltung im Oktober Anhörungen der Anwohner:innen, Gewerbetreibenden und Ei­gen­tü­me­r:in­nen in der Kommodore-Bonte-Straße und der Hindenburgstraße durchgeführt. Diese lehnen die Umbenennung demnach weit überwiegend ab.

Bei der Kommodore-Bonte-Straße mit 76 Betroffenen meldeten sich 27 zu Wort, davon waren vier für und 23 gegen eine Umbenennung; aus der Hindenburgstraße mit 91 Adressaten äußerten sich 44 Betroffene. 43 wollten am Namen Hindenburg festhalten, nur eine Stimme war dagegen. Kritisiert wird dabei vor allem, dass durch die Umbenennung „unnötiger“ Stress, Aufwand und Kosten entstünden.

In Leserbriefen an die lokale Presse wird teils scharf kritisiert, die Grünen hätten „nichts Besseres im Kopf“ als solche „sinnbefreiten“ Maßnahmen und sollten „die Finger von diesem Unsinn“ lassen.

Straßenumbenennungen im Norden

In Norddeutschland wird seit Jahren über NS- und kolonial belastete Straßennamen gestritten. Mal führen die Debatten zu Umbenennungen, mal zu erklärenden Zusatzschildern. Fast überall sind es langwierige Verfahren zwischen Politik, Verwaltung und Anwohner:innen. Einheitliche Kriterien gibt es selten.

Hamburg hat Kommissionen eingesetzt, die NS- und kolonial belastete Namen systematisch prüfen. Einige Straßen wurden umbenannt, andere kontextualisiert. Besonders umstritten waren koloniale Ehrungen wie die Woermann-Straßen, die nach langem Druck geändert wurden.

In Bremen treiben vor allem zivilgesellschaftliche Initiativen die Debatte voran. Mehrere Straßen mit kolonialem oder NS-Bezug stehen auf Prüflisten. Entscheidungen werden häufig in Beiräten vorbereitet und verzögern sich. Umbenennungen sind bislang eher die Ausnahme.

In niedersächsischen Städten wie Hannover oder Oldenburg führten Debatten um Namen wie Hindenburg zu teils jahrelangen Auseinandersetzungen. In Hannover wurde die Hindenburgstraße schließlich umbenannt, trotz Klagen von Anwohner:innen.

In Kiel, Lübeck und Flensburg in Schleswig-Holstein wird vor allem über kolonial belastete Straßennamen diskutiert. Forderungen kommen häufig von Initiativen und Jugendorganisationen. Konkrete Umbenennungen sind bislang selten. Eine Ausnahme ist das prominent gelegene Kieler Hindenburgufer, das 2014 den unverfänglichen Namen „Kiellinie“ bekam.

Die Verwendung der Namen sehe zwar auch die SPD kritisch, schreibt der Ortsverein in seinem Alternativantrag. „Das Wichtigste für uns ist jedoch, dass an diesen Personen auch zukünftige Generationen ‚lernen‘ können, welche Geschichte sie aufweisen und welche Punkte kritisch sind“. Deshalb solle es eine offene Diskussion geben oder „ein Verfahren, in dem diese geschichtliche Perspektive entwickelt wird“.

Sollte am Ende eine Kontextualisierung etwa mit einer Tafel stehen, sei das für die SPD „in Ordnung“. Auch eine Umbenennung würde sie mittragen, wenn diese gewünscht sei.

Auch in Wilhelmshaven Streit über Bonte

Unterstützung bekommen die Grünen für ihre Anträge unter anderem vom Arbeitskreis „Juden in Varel“. Dass die beiden Straßen auch 80 Jahre nach dem Ende der Nazidiktatur noch nicht umbenannt seien, sei eine politische Stellungnahme. „In einer Zeit, in der rechtes Gedankengut zunehmend populär wird und rechte Parteien erschreckenden Zulauf finden, wäre eine Umbenennung ein starkes Zeichen und eine Aufarbeitung unserer Stadtgeschichte, die Varel gut anstünde“, schreibt der Arbeitskreis in einem Brief an Bürgermeister Gerd-Christian Wagner (SPD).

Auch in Wilhelmshaven ist der Name Bonte seit Jahren umstritten. Dort tragen mit der Bontestraße und dem Bontekai gleich zwei Orte den Namen des Marineoffiziers. Trotz wiederkehrender Kritik von His­to­ri­ke­r:in­nen und Initiativen hat sich die Stadt bislang gegen eine Umbenennung entschieden.

Stattdessen setzt man dort auf Kontextualisierung: Informationstafeln sollen auf Bontes Rolle im nationalsozialistischen Angriffskrieg hinweisen. Kri­ti­ke­r:in­nen halten das für unzureichend und sprechen von einer fortgesetzten Ehrung, die durch erklärende Zusatztexte nicht aufgehoben werde. Die Debatte ist damit auch in Wilhelmshaven politisch festgefahren, aber keineswegs beendet.

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