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Diskurs im Raumschiff

■ Cultural-Studies-Import zwischen Essay, Forschungsbericht und Langeweile: Diedrich Diederichsens Reader zu „Loving The Alien“ funktioniert leider nur mit Plattensammlung

Aus dem Zusammenhang reißen, in den Zusammenhang schmeißen“ lautete einmal die Empfehlung für den Import von Theorie aus Übersee. Diedrich Diederichsen, der Parolengeber, verband mit dem Satz die Hoffnung, gerade die dabei entstehenden Mißverständnisse und Übertragungsfehler könne man produktiv machen. Das ist eine Weile her. Was damals noch relativ diffus „Theorie“ genannt wurde, ist heute als Genre namens Cultural Studies bekannt, und je weiter hierzulande die Akademisierung dieses Theorie-Imports vordringt, desto weniger gilt das Scheitern als Chance. Lieber gründet man gleich eine Akademie.

Zu einer ambulanten Akademie wurde vor einem Jahr die Berliner Volksbühne für ein Wochenende umgewandelt. „Science Fiction, Diaspora, Multikultur“ waren die Themen des von Diederichsen initiierten Kongresses, und wer einen Kongreß veranstaltet, läßt es sich nicht nehmen, auch einen Reader herauszubringen. So ist eine Auswahl der Vorträge jetzt unter dem Titel „Loving The Alien“ in Buchform erschienen.

Ausgehend von der doppelten Bedeutung des Wortes „alien“, nämlich „Außerirdischer“ genauso wie „Ausländer“ oder „Fremder“, sollte der Frage nachgegangen werden, wie diese „alienation“ vor allem in der afroamerikanischen Popkultur der letzten fünfzig Jahre abgebildet oder verarbeitet wurde. Bei einigen Künstlern, so die Ausgangsthese, habe eine Identifikation mit dem Alien- Sein wie ein Modus um kollektive Traumata der Vergangenheit funktioniert, um die Verschleppung aus Afrika zu verarbeiten. Dieser Schritt in die selbstgewählte Extraterritorialität könne einen emanzipativen Kern in sich tragen: Die Sklavenschiffe würden dann zu Raumschiffen.

Schiffe, Archen überall: Von dem Free-Jazz-Musiker Sun Ra und seinem Arkestra über den Dub-Produzenten Lee Perry und seinem Black Ark benannten Studio bis hin zu George Clintons Funk-Mothership ziehen sich Vorstellungen der Extraterritorialität des künstlerischen Schaffens. Auch Drum-'n'-Bass- Produzenten heutiger Tage verlegen ihre Platten ins „Parallel Universe“ oder glauben sich im Besitz einer „Black Secret Technology“. Diederichsens Reise führt (in einer Überarbeitung seines Eröffnungsvortrags) von Karl Heinz Stockhausen, Detroit Techno und Miles Davis zu Kraftwerk und George Clinton – um zwischendurch immer wieder beim Sun Ra Arkestra zwischenzulanden.

Doch wie schon während des Symposions stellt sich die Frage, welche Klammer die Texte zusammenhält, jenseits des Umstands, daß sich da für ein Wochenende die Möglichkeit bot, eine Reihe von Theoretikern zu casten, die der Herausgeber offensichtlich schon immer mal gemeinsam auf ein Podium setzen wollte. Denn so elaboriert Diederichsens Ausführungen sind: Wo das Feld bereits so genau abgesteckt ist, haben die anderen Autoren manchmal Schwierigkeiten anzudocken.

Im schlechtesten Fall, wie im Text der amerikanischen Künstlerin Renée Green, sind es einfach nur Nacherzählungen von Lektüren und Filmplots, zusammengehalten von Theorie-Allgemeinplätzen über „race 'n' gender“. Im besten Fall ist es verallgemeinertes Spezialwissen, wie bei dem britischen Autoren Kodwo Eshun. In seinem Beitrag „Angst vor einem nassen Planeten?“ erweitert er die Vorstellungen von Entfremdung, Extraterritorialität und Außerirdischen um die Dimension der Meeres: Im Bild der „Waterbabies“, jener mythischen Kinder schwangerer Sklavinnen, die auf Transportschiffen über Bord geworfen wurden, nehme eine Detroiter Spielart von Techno Rache an der nach Weltherrschaft strebenden Klasse der Programmierer.

Genau in jener Bandbreite zwischen Essay, Forschungszwischenbericht und Langeweile bewegt sich die Aufsatzsammlung. Und Cultural Studies according to „Loving The Alien“ haben trotz der im Untertitel plazierten Multikultur erstaunlich wenig Schnittstellen zu der Multikultidebatte deutscher Provenienz.

Das liegt natürlich daran, daß die meisten Autoren aus Großbritannien und den USA kommen, was aber den Raumschiff-Charakter des ganzen Diskurses nur unterstreicht. Und das hat nichts damit zu tun, daß keine konkreten Flüchtlinge zu Wort kommen. Es ist schwierig, sich von Deutschland aus an das von Paul Gilroy „Black Atlantic“ benannte Beziehungsgeflecht zwischen Afrika, Alter und Neuer Welt anzuknüpfen, wenn das nicht anders als über die Plattensammlung möglich ist.

Doch jenseits des Special interests all jener, die sowohl Sun-Ra- als auch 4-Hero-Platten zu Hause nicht nur stehen haben, sondern auch hören: Warum all das? Geht es um mehr als darum, auf einem der letzten geisteswissenschaftlichen Wachstumsmärkte das Terrain abzustecken? Der aus den Reihen der Vortragenden selbst stammende Vorwurf, der Kongreß handle von „german academia trying to get sexy“, läßt sich nicht mit dem Verweis aus der Welt schaffen, an der Veranstaltung in der Volksbühne hätten fast keine namhaften deutschen Akademiker teilgenommen. Im Gegenteil, am einfachsten wäre der Vorwurf durch schlichte Affirmation zu entkräften gewesen: Genau, Cultural Studies dieser Art haben Sex-Appeal, im Unterschied zur tausendsten Hegel-Studie. Doch so ist das Erstaunlichste an „Loving The Alien“, mit welcher Beharrlichkeit da die Institution Universität und ihre Spielregeln umarmt werden.

Die Frage lautet nicht, ob Popkultur zu vital ist, um akademisch verhandelt und eingeordnet zu werden. Die Frage sollte sein, ob die Wissenschaft fröhlich genug ist, es mit so viel Vitalität aufzunehmen. Gründe, die Akademie zum Tanzen zu bringen, gibt es genug. Tobias Rapp

Diedrich Diederichsen (Hg.): „Loving The Alien – Science Fiction, Diaspora, Multikultur“. ID- Verlag, 224 Seiten, 36 DM

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