Dirk Hartog Island, Westaustralien: Umwelträuber Katze
Vor 400 Jahren landete der erste Europäer an der Küste Westaustraliens. Ihm folgten Leuchtturmwärter, Farmer, Katzen, Schafe und Ziegen.
„Weißt du, 400 Jahre, was ist das schon?“, sagt Capes. Er trägt Shorts, Sonnenbrille und Baseballkappe und heißt eigentlich Darren Capeswell, aber niemand nennt ihn so. Der Yamaji Aborigine folgt gerade einer Känguruspur durch den Francis-Peron-Nationalpark an der Shark Bay, Westaustralien, rund 850 Kilometer nördlich von Perth.
Shark Bay ist eine der wenigen Unesco-Weltnaturerbestätten, die alle vier Bedingungen für den Status erfüllen, obwohl eine allein schon ausreichend ist. Es ist geologisch, klimatisch, evolutionsgeschichtlich und biologisch besonders. Auf der anderen Seite der Bucht sieht man ein Stück Land am Horizont: Dirk Hartog Island, 80 Kilometer lang und bis zu 11 Kilometer breit. Auf die Insel setzte vor 400 Jahren zum ersten Mal ein Europäer seinen Fuß: Dirk Hartog nämlich.
„Meine Leute sind schon seit 10.000 Jahren hier“, sagt Capes, „und niemand schmeißt eine Party für uns.“ Er ist am Ende der Spur angekommen, ein kleines Loch ist dort im Boden. Capes vergrößert es, buddelt im Sand wie ein Kind. Am Boden des Lochs beginnt sich Wasser zu sammeln. Es ist trinkbar. „Kängurus führen dich zu Trinkwasser“, sagt Capes. Er trägt das Wissen seiner Vorfahren weiter und davon lernen nicht nur Touristen, sondern auch Einheimische. Aus den Erzählungen der Aborigines weiß man zum Beispiel, wie die Flora und Fauna ausgesehen hat, bevor die Europäer ihre Haustiere einschleppten.
Hier landete Dirk Hartog
Bilder der Woche 8.-14. Oktober
Im Herbst 1616 stößt das holländische Schiff „Eendracht“ auf Land. Der Kapitän hinterlässt eine Metallscheibe auf einer Klippe. Darauf steht: „Hier landete am 25. Oktober Kapitän Dirk Hartog und sein Steuermann, fahren am 27. Oktober weiter nach Batum.“ Er war auf dem Weg nach Batavia, dem heutigen Jakarta, um Gewürze einzukaufen. Nur wusste man damals noch nicht, wie man die Längengrade berechnete. Hartog segelte von Afrika aus nach Süden. Er wollte die windstille Zone rund um den Äquator umgehen und die „Roaring Forties“, die starken Westwinde, nutzen, um schneller nach Indien zu gelangen. Doch er verschätzte sich und erreichte stattdessen die australische Küste.
Nach ihm kamen viele andere: Vlamingh, Dampier, St Allouran – und mit ihnen die ersten Unternehmer. Im Jahr 1850 begannen Perlenfischer in der Shark Bay die Austern zu ernten, 80 Jahre später waren keine mehr übrig. 1869 brachte Von Bibra die ersten Schafe und Ziegen nach Dirk Hartog Island. Knapp dreißig Jahre danach kamen die Leuchtturmwärter mit den ersten Katzen. Sie alle nutzten, gestalteten und zerstörten die Natur. Zur 400-Jahr-Feier der europäischen Geschichte soll die Insel wieder in den Zustand versetzt werden, in dem Dirk Hartog sie 1616 gesehen haben muss.
„Durch die Schafe breitete sich die Steppe aus“, erklärt Kieran Wardle, der mit seiner Frau und den beiden Kindern als Einziger auf Dirk Hartog Island lebt. „Die Katzen sollten die kleinen Nager von Vorräten fernhalten und rotteten alle kleinen Beuteltiere aus, die je hier gelebt haben: Woylie, Dibbler, Mulgara, Chuditch.“
Die Vegetation erholt sich
Kieran ist der Enkel des letzten Schafzüchters der Insel. Er ist Besitzer einer kleinen Ökolodge. Kieran hat früh angefangen, Freunde einzuladen, sie auf Wanderungen über die Dünen am östlichen Strand mitzunehmen; im Februar zuzusehen, wie die kleinen Schildkröten schlüpfen und ins Meer krabbeln; oder im Juni nach Walhaien Ausschau zu halten. Aus dem Ausflug mit Freunden wurde ein kleines Unternehmen, sechs Zimmer und ein Haus vermieten er und seine Frau. Dazu kommt ein kleiner, staatlicher Campingplatz und ihr eigener. Das Einkommen aus der Schafzucht wurde weniger, und jenes aus dem Tourismus stieg.
Rund 1.000 Touristen besuchen die Insel im Jahr, 400 davon übernachten in ihrer Lodge in den ausgebauten Schafsställen. Der Strom kommt aus Solarzellen, das Trinkwasser ist gesammeltes Regenwasser, das Wasser aus dem Hahn stammt aus einem eigenen Brunnen. „2009 haben wir das letzte Schaf von der Insel transportiert“, sagt Kieran, während er mit seinem Jeep über die Pisten der Insel zockelt, betonierte Straßen gibt es keine. Autos begegnet er nicht, es dürfen ohnehin nur 15 Wagen gleichzeitig auf die Insel.
Seit 2007 wurden 10.000 Ziegen und 5.000 Schafe entfernt, erst klassisch, später hat man sogenannten Judasziegen GPS-Sender umgehängt. Es waren Ziegen, die Böcke angelockt haben, die man so fangen konnte. Die Bilanz 2015: 0 Schafe, geschätzte 50 Ziegen. 2016 soll auch die letzte verschwunden sein.
Langsam hat sich die Vegetation erholt. Kieran zeigt auf Stellen, an denen der Busch so dicht ist, dass man nicht hindurchschauen kann. „Früher war das alles kahlgefressen und man konnte den sandigen Boden sehen.“ Neben einem kniehohen Metallstab hält er den Wagen an, gegenüber stehen kleine dunkle Boxen. „In dem einen ist ein Lockstoff für Katzen“, erklärt Kieran, „im anderen eine Kamera, um sie zu knipsen.“
Die Pest der Insel
Die Katzen sind sozusagen die Pest der Insel. Sie jagen alles Maus- und Rattenartige und davon gab es auf der Insel sehr viel. In dem trockenen Klima mit dem buschigen Land können sich keine großen Kängurus ernähren. Für kleinere Beuteltiere hingegen ist es der perfekte Lebensraum. Um die Katzen loszuwerden, wurden vergangenes Jahr Köder ausgelegt: Würste, die mit einem Gift versehen waren, das in einer einheimischen Erbse vorkommt. Beuteltiere sind immun dagegen, eingewanderte Arten hingegen nicht. Doch Katzen sind schlaue Tiere, nicht jede frisst, was vom Himmel fällt. Kamerafallen sollen deshalb helfen, Tiere aufzuspüren. Doch auch die haben seit Monaten keine Bilder mehr aufgenommen. Deshalb ist nun Mark Holdsworth auf der Insel.
Er hat sein Lager in der Nähe des kleinen Flugplatzes errichtet: Drei Zelte stehen im Halbkreis, daneben liegen fünf Hunde in geräumigen Käfigen, einen sechsten hat Mike an der Leine. „Wir laufen den Süden der Insel ab“, sagt Mark, „und zwar die Regionen zwischen den Kamerafallen.“ Die Hunde sollen die letzten Katzen erschnüffeln. Das dauert lange, denn jeder Hund kann nur zwei Stunden lang arbeiten, dann ist Schichtwechsel. Einen Monat lang werden sie beschäftigt sein. „Wenn wir zwei Jahre lang keine Spuren von Katzen finden“, fährt Mark fort, „ist die Insel sauber.“
Erst dann können die ausgestorbenen Arten wieder eingeführt werden, die ihre Nische wieder finden, sesshaft werden und sich fortpflanzen müssen. Das dauert mindestens noch drei Jahre, vielleicht auch eher fünf oder sieben. Und natürlich ist die Insel dann nur annähernd so wie vor 400 Jahren, denn Flugplatz, Autos und Touristen gab es damals nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste