Direktorin über Museumsarbeit während Corona: „Wir müssen Position beziehen“

Das Zeppelin-Museum in Friedrichshafen trotzt Corona mit einem Debatorial. Ein Gespräch über neue Museumsformate.

Frau mit mächtiger blonden Mähne steht in einem zeitgemäß betoncoolen Treppenhaus

Die Direktorin des Zeppelin Museum Friedrichshafen Claudia Emmert Foto: Paul Tittel

taz: Frau Emmert, wie geht es Ihnen und Ihrem Museum? Bei der erneuten Schließung?

Claudia Emmert: Das ist natürlich schwer für uns, weil wieder Einnahmen wegfallen, wieder das Programm in den Hintergrund rückt. Wir waren gerade auf dem Weg, bei uns im Museum das Digitale und das Analoge miteinander zu verschränken. Diese Entwicklung wird jetzt gestoppt. Auf der anderen Seite ist die Gesamtlage der Infektion einfach so, dass man guten Gewissens gerade nicht aufhaben kann.

www.debatorial.de. Am 21. Januar eröffnet die physische Ausstellung „Beyond States – Über die Grenzen von Staatlichkeit“, in die das Debatorial mit einfließt. Zeppelin Museum Friedrichshafen, Seestraße 22, 88045 Friedrichshafen

Sind Sie jetzt besser vorbereitet als im Frühling?

In einem Museum steckt man in einem Turnus fest. Man produziert Ausstellungen, die erforscht und vorbereitet werden müssen, man hat ein laufendes Vermittlungsprogramm, ist stets auf der Suche nach neuen Themen. Das war die große Chance im ersten Lockdown, dass wir auf einmal Zeit hatten, uns zu fragen, was ein zeitgemäßes Museum ist und wie wir uns innerhalb der Gesellschaft neu aufstellen sollten. Wir haben die Zeit genutzt, unser Debatorial zu entwickeln. Auch die anderen Museen haben unterschiedliche Projekte verfolgt. Wir sind alle inzwischen einen Schritt weiter, aber ob sich das jetzt noch einmal so wiederholen lässt, ist die Frage.

Mit dem Debatorial sind Sie Ende September online gegangen. Worum geht es da?

Eigentlich hätte die Ausstellung „Beyond States – Über die Grenzen von Staatlichkeit“ im Mai eröffnet werden sollen. Dann kam Corona dazwischen und das Interessante war, wie die Inhalte dadurch neue Relevanz erlangt haben. Unser Museum hat im Jahr durchschnittlich 240.000 Besucher*innen, viele davon sind Urlauber*innen. Manche kommen direkt nach dem Schwimmen im See zu uns.

Themen wie Staatsbürgerschaft, Staatsgrenzen, Staatsgewalt wirken dann eventuell etwas anstrengend. Deswegen hatten wir schon überlegt, wie wir Brücken zum Alltagsleben der Besucher*innen bauen können. Dann kam Corona, auf einmal waren die Grenzen geschlossen, wurden Freiheitsrechte eingeschränkt. Auf einmal hat jede*r gemerkt, was Staatsgewalt ist. Es wurden neue Fragen aufgeworfen. Wir haben gemerkt, dass wir die ganze Ausstellung noch mal überarbeiten mussten.

Das ist der inhaltliche Part, aber was ist das Debatorial für ein Format?

Dr. Claudia Emmert ist seit Oktober 2014 Direktorin und Geschäftsführerin des Zeppelin Museum Friedrichshafen. Davor war die Kunsthistorikerin von Mai 2009 bis September 2014 Gründungsdirektorin des Kunstpalais Erlangen und Leiterin der Städtischen Sammlung und von 1999 bis 2009 Leiterin des DSV Kunstkontors im Deutschen Sparkassenverlag in Stuttgart

Wir wollten unseren Reflexions- und Forschungsprozess sichtbar machen und sind deswegen davon abgekommen, eine Ausstellung zu konzipieren, die eine Ergebnispräsentation ist. Wir wollten einen Diskurs in Gang setzen und die Menschen und ihre lebensweltliche Erfahrung in die wissenschaftliche Analyse mit einbinden.

Unser Anliegen war es, eine Debattenplattform zu schaffen, die im hohen Maße partizipativ ist. Wo die Leute unter jedem Text einen Kommentar hinterlassen können. Wo es Umfragen gibt, Quizformate, interaktive Karten, Linklisten. Wo wir auf verschiedenen Ebenen Menschen zur aktiven Beteiligung am Diskurs aufrufen.

Wie gelingt Ihnen das? Wie erreichen Sie die Leute?

Wir haben natürlich sehr viele Inhalte von Beginn an auf der Plattform zugänglich gemacht: die künstlerischen Positionen, die historischen Themen aus der Luftfahrt. Das haben wir alles online gestellt und ein umfangreiches Liveprogramm entwickelt. Woche für Woche kommen neue Inhalte dazu. Dann haben wir haben verschiedenen Plattformen miteinander verwoben.

Sie können ja nicht einfach eine Plattform online stellen und hoffen, dass die Leute sie besuchen. Wir mussten Anker setzen, etwa auf Face­book. Wir haben eine Gruppe auf Telegram. Andere Diskurse laufen auf Instagram. So haben wir versucht, diese bestehenden Plattformen zu nutzen, um immer wieder aufs Debatorial zu verlinken.

Und das funktioniert?

Wir hatten seit dem 2. Oktober knapp 3.000 Besucher*innen auf dem Debatorial. Damit sind wir ganz zufrieden, aber die meisten Debatten finden auf Face­book statt. Vergangene Woche etwa hatten wir eine Podiumsdiskussion über Seenotrettung. Da ging es auf Facebook richtig ab und wir haben Kommentare bekommen, die wir so auf dem Debatorial nicht bekommen würden.

Und die Sie sich wohl so auch nicht gewünscht haben. Wie gehen Sie mit problematischeren Kommentaren um?

Das muss man aushalten. Wir leben in einer Demokratie. Natürlich haben wir eine Netiquette eingeführt. Man muss Menschen auch in Schranken weisen, etwa bei rassistischen Äußerungen, aber man kommt nur weiter, wenn man solche Stimmen tatsächlich aufgreift und lernt, damit umzugehen.

Es ist ein Lernprozess für uns als Kultureinrichtungen, nicht nur in unserer Blase mit kulturinteressierten Menschen zu diskutieren, sondern mit allen. Wenn man mehr Partizipation im Museum zulassen möchte, muss man für die polyfone Gesellschaft in ihrer gesamten Breite offen sein.

Im Einführungsvideo zum Debatorial sagen Sie, Sie würden das Museum als politischen Raum verstehen. Wie ist das gemeint?

Ich glaube, dass Museen eine viel stärkere gesellschaftspolitische Rolle übernehmen müssen. Sie müssen ein Ort des Diskurses für aktuelle Fragestellungen werden, an dem Vergangenheit analysiert und daraus Rückschlüsse für unsere Gegenwart gezogen werden. Ein Museum muss auch immer ein globaler Ort sein, ein multikultureller, ein polyfoner Raum.

Unsere Gesellschaft ist eine Einwanderungsgesellschaft, das sollte sich in den Museen spiegeln, auch in der Pluralität der Per­spek­tiven. Wir müssen in unserer Gegenwart – nicht parteipolitisch – aber ganz klar politisch, was Menschenrechte und demokratische Ideale angeht, Position beziehen.

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