Dioxinskandal: Verschmähte Eier an die Armen
Weil skeptische Verbraucher Wurst und Eier in den Supermarktregalen liegen lassen, gibt es bei den "Tafeln", die Lebensmittel an Bedürftige verteilen, Spendenrekorde.
"Tafeln", die Lebensmittelspenden an Menschen mit geringem Einkommen weiter reichen, verzeichnen in Folge des Dioxinskandals Spendenrekorde. "Etliche Geschäfte spenden den Tafeln erheblich mehr Eier als vor dem Skandal", sagte die Vorsitzende des niedersächsischen Tafel-Landesverbandes, Edeltraut Graeßner. Eine Tafel habe das fünfzehnfache der üblichen Menge an Eiern bekommen. Rund die Hälfte der 97 Vereine in Niedersachsen verzeichne einen deutlichen Spendenanstieg.
Um eine Überschreitung des Dioxin-Grenzwerts sorgt sie sich nicht. Man stehe in engem Kontakt mit den Lebensmittelkontrollbehörden: "Wenn eine zu hohe Dioxinbelastung vorliegt, werden die betroffenen Waren aussortiert, bevor wir sie überhaupt gespendet bekommen. Teilweise bekommen wir von den Ketten sogar Unbedenklichkeits-Zertifikate." Auch große Supermarktketten wie Lidl, Rewe, Real und Extra geben nicht mehr verkäufliche Waren an die Tafeln weiter.
Dass der Spendenboom womöglich ein zweifelhaftes Licht auf den Charakter ihrer Einrichtungen als Müllschlucker einer Überschusswirtschaft wirft, glaubt Graeßner nicht. Dass die Bedürftigen "das bekommen, was der Normalverbraucher ablehnt", sei nichts Neues. "Wenn im Februar die ersten noch nicht besonders schmackhaften Erdbeeren in den Regalen liegen, kauft die auch niemand." Beim BSE-Skandal sei es genauso gewesen: "Wir bekommen immer das, was sonst keiner will." Dies sei "das Prinzip der Tafeln". So lange kein Gesundheitsrisiko vorliege, sei das "moralisch vertretbar". Zudem werde niemand genötigt, die Spenden anzunehmen: "Jeder hat die Möglichkeit, ja oder nein zu sagen."
97 Tafeln verteilen in Niedersachsen und Bremen weitgehend unentgeltlich überschüssige Lebensmittel aus Supermärkten und Bäckereien an rund 110.00 Bedürftige.
Bundesweit versorgen 800 Tafeln schätzungsweise rund eine Million Menschen.
Ihr Grundsatz ist es, "qualitativ einwandfreie Nahrungsmittel, die im Wirtschaftsprozess nicht mehr verwendet werden können, an Menschen in Not zu verteilen".
Ihre Kunden müssen in der Regel ihre Bedürftigkeit im Sinne des Sozialgesetzbuches nachweisen.
Der auch bei abgepackten Wurstwaren zu beobachtende Spenden-Boom könnte dabei noch eine Weile anhalten. Am Montag sprach die niedersächsische Landwirtschaftskammer von einer "Preiskatastrophe". Um ein Viertel stürzten die Preise für niedersächsische Schweine in den letzten Tagen - so schnell, wie seit vielen Jahren nicht. Die Agrarskandale haben den zahlungsfähigen Kunden den Appetit auf heimische Mast- und Bruterzeugnisse verdorben. Landen werden die Skepsis weckenden Lebensmitteln nun wohl bei denen, die keine Wahl haben. Und davon gibt es immer mehr.
"In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der Bedürftigen verdoppelt", sagt Graeßner. "Erschreckend ist der sprunghafte Anstieg derer, die trotz eines bezahlten Jobs auf die Hilfe unserer Tafeln angewiesen sind." Viele "Tafel-Kunden" berichteten, dass sie bei Zeitarbeitsfirmen zu sehr geringen Löhnen beschäftigt seien oder eine Aufstockung ihres Lohnes durch Hartz IV erhielten.
(mit epd)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!