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taz FUTURZWEI

Digitalpolitik gegen Oligarchie So kann man Musk stoppen

Die dringendste digitalpolitische Aufgabe der neuen Bundesregierung ist, Tech-Oligarchen nicht weiter ins demokratische Gefüge eindringen zu lassen.

Trieft vor Selbstüberschätzung des eigenen Gestaltungswillens: DOGE-Chef Elon Musk Foto: picture alliance/dpa/ZUMA Press Wire | Andrew Leyden

taz FUTURZWEI | Während in Deutschland gewählt wurde, steht die Demokratie weltweit unter Druck. Am offensichtlichsten sind die Risse in den USA, wo Bernie Sanders kürzlich auf YouTube eindringlich auf den Beginn einer Oligarchie hinwies.

Insbesondere richtete er dabei Aufmerksamkeit auf Elon Musk, der derzeit weltweit in Wahlkämpfe interveniert. In Deutschland interviewte der selbsterklärte „Meinungsfreiheit-Ultra“ Anfang diesen Jahres die AfD-Vorsitzende Alice Weidel reichweitenstark auf X.

Die gegenwärtigen Herausforderungen für die Demokratie sind aber auch über die Launen von rechtsautoritären Oligarchen hinaus eng mit dem Regime der großen Tech-Konzerne verflochten.

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Deren Einflussnahme beschränkt sich nämlich nicht ‚nur‘ auf enorme Lobby-Ausgaben und Wahlkampfspenden, sondern basiert vor allem auf einer tiefgreifenden Umformatierung der gesellschaftlichen Strukturen. Vor allem das Gerüst der Öffentlichkeit wird zu bedeutenden Teilen von großen, profitorientierten Plattformen bereitgestellt.

Renaissance feudaler Strukturen?

Bei diesen Plattformen haben wir es mit „proprietären Märkten“ (Philipp Staab) zu tun, die ihre Spielregeln selbst festlegen können. Yanis Varoufakis, der ehemalige griechische Finanzminister, erkennt hier sogar eine Renaissance feudaler Strukturen. Im neuen „Technofeudalismus“ ermögliche die Kontrolle über Cloud-Kapital (also über Plattformen, Algorithmen, Daten und so weiter) das Abschöpfen von unbezahlter Arbeit, die wir Nutzer:innen in digitalen Leben und Datenminen erbringen.

Gemäß den Regeln der Plattformbetreiber erstellen wir TikTok-Videos, rezensieren Restaurants bei Google Maps oder generieren auf WhatsApp mit jeder Nachricht Metadaten.

Maxim Keller, Felix Maschewski und Anna-Verena Nosthoff sind Mitglieder des Arbeitskreises Zukunftsfähige Digitalität des Rates für digitale Ökologie, der in Zusammenarbeit mit dem Critical Data Lab (HU Berlin/Universität Oldenburg) das Projekt „Doing Digital Utopia – Guide für digitale Zukunftsfähigkeit“ herausgibt. Der Guide stellt reale Gegenentwürfe und -praktiken sowie ‚andere‘ Apps und Plattformen vor, die zukünftige Potenziale für das „Kontra-Algorithmische“ konkretisieren. doing-digital-utopia.de

In welchem Ausmaß Varoufakis’ Diagnose zutreffen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob unsere Abhängigkeit von den Tech-Unternehmen wirklich so hoch ist, wie die feudalistische Metapher suggeriert.

Es kommt schließlich immer wieder vor, dass Nutzer:innen eine Plattform verlassen, selbst wenn sie dabei den Zugriff auf ihre Daten verlieren. Die entscheidende Frage, die sich auch angesichts einer techautoritären Wende à la Musk anschließt, ist, welche Alternativen es zu den hegemonialen Plattformen gibt.

Move fast and break things

Die Antwort ist aufgrund der gefestigten Stellung von Big Tech nicht trivial. Aber die große Beweglichkeit des Digitalen, welche die umfassende Tragweite der digitalen Transformation überhaupt möglich macht, lässt auch Raum für ganz andere Ausgestaltungen. Anders gesagt: Man kann das einstige Motto von Facebook – Move fast and break things – auch wenden, um die emanzipatorische Dimension der Digitaltechnik zu lancieren.

Der Nährboden dafür ist vorhanden. In den letzten Jahren kam es zu einem regelrechten Techlash: Eine ganze Reihe von Skandalen verstärkte sukzessive ein kritisches Bewusstsein und ließ eine praktische Sehnsucht gedeihen, es anders zu machen und aus den Leitkonzernen des kommerziellen Internets auszubrechen.

Bei diesem progressiven positiven Maschinensturm geht es weder um Rückzugsgefechte und Offline-Romantizismus noch um das Freidrehen eines naiven Technikoptimismus, der in der scheinbaren Affirmation des Neuen doch nur den Status quo fortschreibt.

Die pluralistischen Konzepte einer zukunftsfähigen Digitalität dienen Mensch und Umwelt und suchen eine wünschenswerte Transformation im und durch das Digitale, jenseits bloßer Buzzworte.

Die entscheidende Aufgabe der Digitalpolitik

Hier kommt auch die neue Bundesregierung ins Spiel. Die dringendste Aufgabe der Digitalpolitik liegt darin, Tech-Oligarchen nicht weiter in das demokratische ­Gefüge ­eindringen zu lassen. Das ist kaum möglich, solange die Kontrolle über zentrale gesellschaftliche Mechanismen an profitorientierte Plattformen ausgelagert wird.

Um wieder unabhängiger zu werden, müssen Alternativen systematisch gefördert und Innovation in den Dienst einer offenen Gesellschaft gestellt werden. Ohne Investitionen wird das nicht funktionieren.

Die Bundesagentur für Sprunginnovationen, die unter anderem Prototypen für eine sichere digitale Identität oder ­Deep-Fake-Detektoren hochpäppelt, zeigt auf erfrischend unbürokratische Weise, wie man hier sinnvoll intervenieren kann.

Solche Experimente mit offenen, dezentralen bis selbstorganisierten Projekten sollten zu einem zentralen Prinzip der Digitalpolitik werden, denn sie weisen den Weg zu resilienten digitalen Strukturen.

Klar ist: Solange keine demokratisch kontrollierte digitale Gegenmacht aufgebaut wird, bleibt es dem Berliner Berghain vorbehalten, Elon Musk den Einlass zu verwehren.

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