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Digitalisierung von AlltagserledigungenÄltere Menschen überfordert

Die Se­nio­r:in­nen­ver­tre­tung Bremen beklagt, dass Banken und Post für Ältere immer schwerer zugänglich werden. Sie wollen eine analoge Versorgung.

Analoger Kontakt bei Banken und Post: Se­nio­r:in­nen aus Bremen wünschen sich ein Recht darauf Foto: Caroline Seidel/dpa

Bremen taz | Probleme mit dem Geldautomaten, eine lange Schlange bei der Post, Treppenstufen im Eingang der Paketstation im Tabak­laden: Se­nio­r:in­nen stehen im Alltag vor vielen Herausforderungen. Die Se­nio­r:in­nen­ver­tre­tung Bremen fordert deshalb ein „Recht auf analoge Versorgung“. In einer Pressemitteilung schreibt der Interessenverband am Montag, dass Se­nio­r:in­nen Probleme mit der Versorgung bei Banken und Postfilialen hätten. Die ältere Generation brauche lebendige Menschen als Ansprechpartner:innen. Diese könnten nicht durch Geldautomaten oder künstliche Intelligenz ersetzt werden.

Auf taz-Nachfrage berichtet Michael Breidbach, Sprecher der Se­nio­r:in­nen­ver­tre­tung, von zahlreichen Beschwerden älterer Stadtbewohner:innen. Dort, wo es persönliche Beratung noch gebe, müsste man wegen der Unterversorgung lange in der Schlange stehen. Ältere Menschen, die in den digitalen Medien nicht fit seien, fühlten sich abgehängt.

Für die Hamburgerin Dagmar Hirche ist das nichts Neues. Sie hat deshalb mit ihrem Verein „Wege aus der Einsamkeit“ vielfältige Angebote entwickelt, die Se­nio­r:in­nen beim Einstieg in den digitalen Raum unterstützen. Unter dem Motto „Wir versilbern das Netz“ veranstaltet sie Schulungen und Gesprächsrunden, nimmt Videos auf und hat ein Mutmachbuch geschrieben.

Zur Forderung der Bremer Se­nio­r:in­nen­ver­tre­tung nach analoger Versorgung sagt Hirche, dass die Wirtschaft sich nicht um einen Schritt zurück ins Analoge kümmern werde: „Lebenslanges Lernen gehört heute dazu.“ Darum fordert sie stattdessen digitale Sprechstunden „an jeder Ecke und in jeder Nachbarschaft“. So könnten Se­nio­r:in­nen beim Einstieg in die digitale Welt unterstützt werden.

Lebenslanges Lernen gehört heute dazu

Dagmar Hirche, Verein „Wege aus der Einsamkeit“

Außerdem seien die Unternehmen dafür verantwortlich, kostenlose Schulungsangebote für Se­nio­r:in­nen anzubieten und ihre Angebote anwendungsfreundlich zu gestalten, sagt Hirche. Dazu gehöre auch eine Erklärung der Begrifflichkeiten. Schon das Wort „Browser“ würden die meisten nicht kennen. Hirche erklärt ihren Schützlingen den Browser als das Taxi im Internet, das einen zum gewünschten Ziel bringt. Solche Analogien seien hilfreich, um das Neue zu verstehen.

Niedrigschwellige Angebote sind wichtig, findet auch Joachim Schulte, Sprecher des Fachbeirats „Digitalisierung und Bildung für ältere Menschen“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Er sagt, je­de:r solle Digitalisierung dort nutzen, wo es Sinn mache und möglich sei. Man könne aber auch nicht von allen verlangen, dass sie schnelles Internet hätten und sämtliche digitalen Dienste kennen. Menschen dürften nicht ausgeschlossen werden.

Analoge Nachfrage nach wie vor vorhanden

Dabei gibt Schulte auch zu bedenken, dass Menschen mit Sprachbarrieren oder anderen Einschränkungen ebenfalls Schwierigkeiten mit digitalen Angeboten hätten. Solange die Nachfrage nach analoger Beratung bestehe, müsse diese auch verfügbar sein.

Hauptberuflich ist Schulte stellvertretender Geschäftsführer des Vereins „Deutschland sicher im Netz“. Gemeinsam mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der ­Seniorenorganisationen hat der Verein den Digital-Kompass entwickelt. Bundesweit entstehen dabei 100 Treffpunkte, an denen ältere Menschen beraten werden. Die In­ter­net­lot­s:in­nen vor Ort seien ebenfalls über 60, weil es ein besseres Vorbild sei, wenn man sich gegenseitig hilft, so Schulte.

Um auch Se­nio­r:in­nen im ländlichen Raum besser zu erreichen, gebe es außerdem den „Digitalen Engel“. Das sei ein Bus, der als mobiles Angebot in die Dörfer fahre und ein erstes Kennenlernen mit dem Internet ermögliche. Ziel des „Engels“ sei es, neugierig zu machen und auf bestehende Anlaufstellen hinzuweisen.

Angebote zur Einführung in die digitale Welt soll es in Zukunft flächendeckend geben. Michael Breidbach von der Bremer Se­nio­r:in­nen­ver­tre­tung bezweifelt aber, dass die Angebote ausreichen. Es brauche dauerhafte Ansprechpartner:innen.

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9 Kommentare

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  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)
  • Ich will allerdings auch die Bankfilialen und werde keinesfalls onlinebanking betreiben.



    Ich bin partout gegen diese Wegrationalisierung der Banken und zahle 8€ Kontoführungsgebühr. Die muss dann auf Null gesenkt werden, wenn es nirgends mehr erreichbare Personenbankschalter gibt.

  • Auch Software wie Windows oder Online-Banking-Software wird immer schwerer zu benutzen, immer komplexer, vollgemüllt mit irrelevanten News, Autoupdates, Werbung und Vorschlägen zu Zusatzgeschäften, und so weiter. Das ist ein Problem für Senioren, aber sicher auch ein gehöriger Nerv-Faktor für viele andere Menschen, die das ganze Gebrassel zeitraubend und unübersichtlich finden.

    Trends bei Benutzeroberflächen kommen dazu: Wo man früher einen klar erkennbaren Button hatte, mit einem klar erkennbaren Zustand, wo drauf stand, was er macht, wie z.B. "speichern!", hat man heute ein unsichtbares Element ohne Rückmeldung. Leicht zu bedienen? Schön wär's. Benutzbar für Menschen in hohem Alter, mit Einschränkungen bei der Koordination, Sehvermögen, vielleicht gar beginnender Demenz? Vergesst es.

    Und der Grund für all das: Die Software folgt in erster Linie den Interessen der Hersteller, nicht der Nutzer. Wenn der Hersteller möchte, dass die Software jedes Restchen an Aufmerksamkeit aufsaugt, wird sie entsprechend gemacht, wenn man diesem oder jenem zustimmen soll, ebenso, und so weiter.

    Eigentlich eine Riesenchance für Freie Software, die anhand der Interessen der Nutzer gestaltet wird. Nur sind Programmierer (bisher) eher keine Senioren. Also sollte man die Entwicklung barrierefreier Software/UIs durch öffentliche Programme wie EU-Gelder fördern - aufgrund der Lizenzen kann das Resultat ja überall genutzt und verbessert werden.

    Drei Bereiche brauchen unbedingt Standards und frei zugängliche, definierte APIs:

    Erstens GUI-Standards.

    Zweitens, die Online-Banking-Software braucht standardisierte, zeitgemässe, barrierefrei nutzbare, sichere Schnittstellen - und Clients für diese. Das ist sehr wichtig für die Unabhängigkeit älterer Leute.

    Drittens brauchen wir endlich eine vernünftige, standardisierte, datenschutzkonforme Open-Source-Software für Teleconferencing, die zum Austausch mit Verwandten, beim Arzt, Geschäften und so weiter praktisch und mühelos einsetzbar ist.

    • @jox:

      "Eigentlich eine Riesenchance für Freie Software, die anhand der Interessen der Nutzer gestaltet wird."

      Das Problem: gutes UI Design ist aufwendig und benötigt auch viel Fachwissen. Nicht nur technisch, sondern auch wie das Tier Mensch Informationen verarbeitet.

      Da wird ohne (Förder) Geld nix laufen.

    • @jox:

      Ja, so wie das jetzt alles digitalisiert ist - und das wird ja noch zunehmen - fühle ich mich immer öfter als Opfer von irgendwelchen IT-Systemen, die sich auch noch dauernd ändern und keineswegs benutzer:innenfreundlich sind. Das muss aufhören, nicht nur für Ältere oder Menschen, die ans Haus gebunden sind und von daher gezwungen sind, sich online zu versorgen.

  • Ich kenne eine ganz Menge Menschen die ein Handy haben (kein Smartphone) weil sie es für praktisch halten. Aber Bankdienstleitungen oder Versicherung über Computer geht mal gar nicht.



    Die wollen den Ansprechpartner vor Ort haben oder das er zu ihnen kommt.

  • Das Problem ist, die schönen neuen Bunten Oberflächen helfen nichts. Man muss hat wissen was https ist, was eine URL ist, was eine Domain ist, wie das Ganze grob funktioniert, was der Unterschied zw. einem Router und einem Switch ist, was der Unterschied zwischen einem Instant-Messanger und E-Mail ist, was ein MTA macht, was USB ist, was der Unterschied zwischen Wifi, Bluetooth und, NFC,



    wo die Gefahren liegen, was man bei Fehlern macht,...

    Kurz, man muss es lernen und gelehrt bekommen. Einfach, verständlich, aber auch in der notwendigen Tiefe. Genau so wie jeder wissen sollte wie man ein Rad wechselt am Auto (Reihenfolge der Schrauben, Anzugmoment,...Laufrichtung der Reifen), das Kühlwasser kontrolliert,...

    Einfach die Leute vor irgend eine Äpp setzen geht nicht.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @danny schneider:

      „Einfach die Leute vor irgend eine Äpp setzen geht nicht.“



      Sollen die alle erst zur VHS? „Einfach machen“ ist doch die Devise. Eine App, ein Gerät oder eine Webseite, für die ich eine Bedienungsanleitung benötige, taugt nix. Wenn Kenntnis all der Komponenten, die Sie aufzählen, Voraussetzung für die Benutzung eines PC-Browsers oder eines Smartphones wäre, gäbe es diese Geräte und Anwendungen in Privathaushalten gar nicht… und btw.: Welches Baujahr hat ihr PKW? 😃

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Sie wollen eine analoge Versorgung.“



    Die Hilfestellung bei der Erledigung „digitaler Dienste“ ist doch eine schöne Marktchance für die sozialen Dienste. Der FDP wird das gefallen. Bei Bankgeschäften gibt’s dann auch gleich einen Einblick, ob sich der Einsatz lohnt. [/Sarkasmus off)