Digitalisierung für alle : Printlos, einfach so!
taz-Autor*innen bekommen ihr Frei-Abo nicht mehr als Papierzeitung, sondern digital. Soll so sein, ist nötig und modern, sagt Silke Burmester.
Von SILKE BURMESTER
taz Info, 28.05.22 |Geschäftsführer*innen, die sich an die Abonnent*innen wenden, tun dies meist, um mitzuteilen, dass es Veränderungen geben wird, die für das Unternehmen, in dessen Namen sie schreiben, gut sind. Für die Empfänger*innen der Nachricht meist weniger.
Jetzt hat mir das A-Team der taz geschrieben, Aline und Andreas, Geschäftsführer*innen, um mir mitzuteilen, dass mein Frei-Abo, also, das Privileg, ohne Bezahlung täglich die taz auf der Fußmatte zu finden, darauf umgestellt wird, sie unter der Woche nur noch elektronisch zu bekommen.
Es ist der Vorbote zur Einstellung der Distribution der taz auf Papier unter der Woche. Schon jetzt kann der Verlag dadurch viel Geld sparen. Das soll er, ich will mich da nicht querstellen.
Eine Liebe – bis heute
Überhaupt, ich kann nicht meckern. Wohl 25 Jahre habe ich die taz für umme bezogen, weil ich quasi dazugehörte. Irgendwann in den früheren Neunzigern mein erster Text auf der „Wahrheit“. Die Tochter von Rudolf Scharping, damals irgendwas mit SPD, hatte sich für die Zeitschrift Max, damals und heute irgendwas mit Medien, barbusig fotografieren lassen, und ich hatte gefragt, warum man sie bei den Aufnahmen so hatte frieren lassen.
Ohhohoho! Große Aufregung! Abo-Kündigungen! Da war klar: taz und ich – läuft! Wir gehören zusammen! Eine Liebe – bis heute.
Seit drei Jahren mag ich nicht mehr als Journalistin schreiben, und so gut die Entscheidung, es zu lassen, ist, so weh tut mir das in Richtung taz. Die taz gibt, ich nehme – wir führen eine Beziehung in Schieflage. Das macht ein blödes Gefühl, das ich damit beruhige, zu denken, irgendwann, dann mach ich wieder. Dann pumpe ich wieder mein Blut in dieses fröhlich pulsierende Zeitungsherz.
Große Kraft des subversiven Titelblattes
Und nun das. Kein Print mehr für mich und die anderen mit den Frei-Abos. Keine Frage, ich habe vollstes Verständnis dafür. Auch für die generelle Entscheidung, Print einzustellen. Ich bin ja nicht doof, sondern modern. Aber was ist mit meinem Gefühl, meiner Bindung? Wie schalte ich die ab? Wie entwöhne ich mich von 25 Jahren täglicher Präsenz in meinem Zuhause?
Und, so frage ich mich, wo kommt jetzt jeden Morgen das Schmunzeln her? Diese kleine und manchmal die immense Freude über die große Kraft eines subversiven Titelblattes? Wo der freudige Blick auf den TOM und die so häufige Frage: Wie macht der das? Wo nimmt er nach gefühlt 130 Jahren noch immer diese Einfälle her?
Und dann der Rest des Blattes … Eigentlich lese ich den gar nicht mehr, weil ich übers Netz so viel andere Medien lese. Aber dann liegt die Zeitung jeden Tag so schön auf dem Küchentisch, und natürlich fange ich an zu blättern.
Neugierig machen und informieren
Und bleib hier hängen. Und da. Und entdecke Themen, die zu entdecken ich mir nicht zum Ziel machen würde, die also eine Bereicherung sind und das tun, was Zeitung tun soll: Leute über ihr selbst gestecktes Maß hinaus neugierig machen und informieren.
Recht prosaisch wird mir verkündet: Silke, wir lassen Dich allein. Wir sind noch da, aber Du siehst uns nicht mehr.
Und da möchte ich stellvertretend für all die anderen mit der taz alt Gewordenen und sich noch an das Allos-Amaranth-Müsli in der weißen Packung und die Ermordung Petra Kellys Erinnernden, sagen: So geht das nicht! Ihr könnt mich nicht einfach so printlos zurücklassen! Ab dem 1. Juni.
„Dingdong!“ aufs Handy
Überhaupt: 14 Tage, was ist denn das für ein Vorlauf?! Und dann dieser sprachliche Pragmatismus. Nach 25 Jahren Ehe. Das ist ja fast so geil wie der Freund aus Jugendtagen, der, heute um die 50, nach Hause kam und seiner Frau sagte: „Ach übrigens, ich werde Vater.“
Nee, nee, nee, A-Team, so geht das nicht. Erstens, Ihr müsst verbindlicher agieren. Freundlicher. Liebevoller. Zweitens: Ich brauche eine Eingewöhnungsphase. Ich habe mein Leben lang nicht taz.de angeguckt, ich werde jetzt nicht auf die Idee kommen, das zu machen.
Wenn ihr nicht auf meiner Fußmatte liegt, seid ihr nicht mehr existent. Da kann die Seite eins noch so toll sein. Deshalb schlage ich einen Umgewöhnungsservice für Leute wie mich vor: morgens um 8 Uhr ein „Dingdong!“ aufs Handy, stellvertretend für das Geräusch des Zeitungsklatschens auf dem Küchentisch – und eine Seite eins, die sich öffnet.
Ein wenig Liebesgesäusel nach 25 Jahren
Um 9 Uhr einen zweiten Ton, damit ich dran denke, den neuen Touché anzugucken oder was immer die Lieblingsrubrik ist – und dann habt Ihr mich eigentlich auch schon. Dann scroll und lese ich weiter.
Es ist mit so einer langjährigen Zeitungsverbindung nicht viel anders als mit einer alten Liebe. Im Nebeneinander der Gewöhnung fällt unter Umständen gar nicht auf, wenn der oder die andere auf einmal nicht mehr da ist.
Da braucht man ein wenig Liebesgesäusel, ein wenig Kerzenschein und Nackenkraulen, damit das Gegenüber die Veränderung als das begreift, was es ist: eine Chance für die Liebe.
Silke Burmester, Jahrgang 1966, war viele Jahre lang auch „Die Kriegsreporterin“ Kolumnistin auf der Medienseite der taz. Sie gehört, Journalismus hin oder her, zur taz-Familie. Wie alle anderen auch.