Digitalisiertes Wissen: Open Access oder "Open Enteignung"?
Wie soll der Zugang zu digitalem Wissen aussehen? Nach einem taz-Text ist in den Blogs ein Streit um die Verfügbarmachung wissenschaftlicher Informationen entbrannt.
BERLIN taz Es schepperte mächtig in der taz.de-Kommentarspalte, als Rudolf Walther am vergangenen Freitag eine scharfe Kritik an Googles Buchsuchmaschine und der kostenlosen Verfügbarmachung wissenschaftlicher Texte im Internet veröffentlichte. Auch taz-intern ging die Debatte hoch her, sahen die Onliner doch eher die Vorteile von "Open Access", während altgediente Print-Vertreter wie Zeit-Herausgeber Michael Naumann und taz-Chefredakteurin Bascha Mika sogar einen Aufruf deutscher Autoren und Verleger unterzeichneten, der sich massiv gegen die von Walther als "Open Enteignung" titulierte Bewegung wendet.
Worum geht es? Die akademische Landschaft ist derzeit massiv im Umbruch. Wurden Fachartikel einst in entsprechenden Printjournalen veröffentlicht, geht der Trend rasant ins Digitale. Dort treffen geschlossene und offene Welten aufeinander. Auf der einen Seite stehen Wissenschaftsverlage, die online mit dem gleichen Geschäftsmodell weitermachen wie offline und sich gut bezahlen lassen. Auf der anderen Seite fordert die aufstrebende Open Access-Bewegung, alle wissenschaftlichen Texte möglich kostenlos abrufbar ins Netz zu stellen.
Hinter letzterer haben sich inzwischen zahlreiche Institutionen auch der deutschen Forschungslandschaft versammelt: Wissenschaftsrat, Deutsche Forschungsgemeinschaft oder Leibniz-Gesellschaft und Max-Planck-Institute. Und dann gibt es da auch noch Google, dessen Groß-Digitalisierungsvorhaben "Google Books" ebenfalls versucht, möglichst viel Wissen seitenweise abrufbar ins Netz zu hieven und daneben dann Werbung zu schalten.
Auf Seiten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler scheinen sich zwei Fraktionen herauszukristallisieren: Die einen, die Open Access grundsätzlich lobenswert finden, weil er ihnen erlaubt, jederzeit an Material von Kollegen auf der ganzen Welt zu gelangen. Die anderen fürchten, dass ihre Arbeit in einem Datenberg untergeht und gleichzeitig auch noch ihre Rechte mit Füßen getreten werden, weil Universitäten sie zur Online-Publikation zwingen, so dass eine Print-Version renommierter Verlage eventuell nicht mehr zustande kommt.
Walther gehört zu den Kritikern der Open Access-Bewegung. "Angesichts der ungelösten Probleme der Überprüfbarkeit und langfristigen Haltbarkeit von Netz-Enzyklopädien kann es nur darum gehen, neben diesen Medien auch den gedruckten wissenschaftlichen Lexika eine Überlebenschance zu sichern", schreibt er. Und das könne nicht privater Willkür überlassen bleiben, sondern sei "eine kulturpolitische Aufgabe ersten Ranges wie die Erhaltung der Vielfalt der gedruckten Presse". Beides sei Aufgabe des Gesetzgebers, da die Marktlogik hier nicht funktioniere. "Die Google-Piraterie und der "Open Access"-Schwindel" seien wiederum "gefährlicher als die Piraterie entlang der somalischen Küste".
In den fachspezifischen Blogs wurde Walthers Text heftig diskutiert - und meist mit kritischem Blick. Markus Beckedahl von Netzpolitik.org sieht in Walthers Beitrag eine fundamentale Kritik an der Digitalisierung von Büchern und glaubt, dass hier jemand Open Access nicht verstanden habe.
Matthias Spielkamp, Experte für digitale Rechte, meldet sich auf Perlentaucher zu Wort und schreibt, Google habe mit seiner Buchdigitalisierung Fakten geschaffen, um anschließend unter dem Einsatz von Millionen US-Dollar an Anwaltshonoraren mit den US-Verleger- und Autorenverbänden eine Einigung zu erzielen. "Der müssen sich jetzt alle Verleger und Autoren beugen, da es sich um eine so genannte, dem deutsche Recht fremde "Class Action" handelt, die eine quasi-gesetzliche Wirkung für alle Angehörige einer Klasse entfaltet." Im Fachblog Archivalia heißt es unterdessen, Walther referiere Außenseiterpositionen: "Auch taz hetzt jetzt gegen Open Access."
Die Wahrheit dürfte wie so häufig irgendwo in der Mitte liegen. "Nur eine aberwitzige Ideologie kann glauben machen, kompetent organisiertes Wissen sei dauerhaft zum Nulltarif zu haben", schreibt Walther. Aber hat das irgendjemand behauptet? So finden sich im Internet neben der direkten Bezahlung von Inhalten die unterschiedlichsten Geschäftsmodelle - beispielsweise Reklame, wie sie schon seit Jahrzehnten im kostenlosen Privatfernsehen funktioniert.
Das Problem liegt nur darin, dass wir uns gerade in einer massiven Übergangsphase befinden und die Werbetreibenden noch vergleichsweise wenig für die Aufmerksamkeit der vielen Nutzer zahlen, die sie auf Medienangeboten im Netz inzwischen erreichen.
Open Access-Vertreter wiederum argumentieren, dass ja der Staat in einem Land wie Deutschland Forscherinnen und Forscher alimentiert - und deren gewonnene Erkenntnisse gefälligst der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden sollten. Das macht Autoren, die sich ihrer Urheberrechte bewusst sind, am Anfang sicher Angst. Doch auf Dauer ist nur Wissen nützlich, an das man herankommt. Das weiß auch Walther, der fürchtet, dass digitale Medien irgendwann unlesbar werden. Da helfen nur regelmäßige Backups - Open Access ist eines davon.
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