Digitales Lernen: Mobile Erlösung gesucht
Berlin, Hamburg, Frankfurt – überall wird konferiert, um das mobile Lernen zu feiern. Wo bleibt der Praxistest mit Lehrern? Und was ist digitale Didaktik?
Ja, was denn nun? Ist das digitale Lernen mit Tablets, Wikis, Blogs, Apps etc. pp. nun die Zukunft? Oder ist es die weitere Verdünnung und Verflüssigung der didaktischen und kognitiven Substanz des Lernens?
Man weiß es nicht. In Hamburg ging es gerade wieder 1:1 aus. Auf dem 11. EduCamp in Hamburg, der größten selbst organisierten Un-Konferenz der pädagogischen digitalen Intelligenz bisher, trafen sich 200 Cracks – und Dilettanten.
Der Lehrer Thorsten Groß, so berichtete er dort in einer Session, trug das Format BarCamp ins Gymnasium. Informelles Lernen goes superregulierte Anstalt, intrinsisches Arbeiten erobert äußerliche Lehrplanbefolgung. Die Schüler bauten bei Groß, unter anderem, mit dem Programm MineCraft ihr Gymnasium virtuell nach, als 3-D-Modell.
Bei einem GamesCamp an der Schule. Und beantworteten bei einem späteren AbiCamp Anfang 2013 jegliche Fragen künftiger Oberstufler. „Alle Kollegen, die bei dem BarCamp mitgemacht haben, waren begeistert. Die anderen verstanden oft noch nicht, worum es geht.“ Ein Highlight in der Schule – und zugleich eine gelungene Session beim Hamburger EduCamp.
Minecraft-Schule in 3-D
Aber es gab eben auch das in Hamburg. Eine Sitzung zur Gretchenfrage der Didaktik: Wie können iPads, Wikis, Blogs und so weiter die Eroberung der Lerngegenstände vereinfachen? Kurz: didaktische Modelle für digitale Medien. In der stinknormalen Schule sind die Fachdidaktiker so etwas wie die revolutionären Garden der Zitadelle Gymnasium. Wer das Lernen verändern will, muss da also ran. In der EduCamp-Session kein Wort davon. In einer Einführungsrunde versprachen sich alle Teilgeber, wie man die Insassen einer BarCamp-Session nennt, wie sehr sie daran interessiert seien, didaktische Kniffe mal ganz konkret kennen zu lernen.
Und das war’s dann auch.
Keiner, niemand konnte ein konkretes Unterrichtsbeispiel aus einer Schule und/oder einem Fach berichten, wo ein App, ein Gerät oder eine Plattform das Lernen irgendwie verbessert hätten. Schmerzlich wurden die Lehrer Torsten Larbig aus Frankfurt oder der Kölner André Spang vermisst, die an ihren Gymnasien mit allerlei digitalem Schnickschnack das Lernen von morgen bereits praktizieren.
„Ich setze die Tablets ganz gezielt ein, die Schüler müssen bei mir ein Blog führen!“, behauptete hingegen in Hamburg eine Lehrerin. Und in welchem Fach? „In Informatik“. Mehr war nicht – und das in der für die Breitenwirkung vielleicht wichtigsten Session am Wochenende, der zu Didaktik. Nicht einmal der Begriff Didaktik ließ sich klären. Stattdessen wurde plötzlich der „postheroische Unterricht“ (nach David Klett) beschworen.
Nur noch digitale Schulbücher
„Selbstbestimmtes Lernen in der digitalen Welt“: 26. April 2013, 10 bis 17.45 Uhr, Ökohaus Frankfurt/Main. Weitere Informationen.
Die Bildungsrepublik ist nervös, das neue Lernen steht irgendwie vor der Tür. Vielleicht. Korea wird in zwei Jahren nur noch digitale Schulbücher haben. Jeder koreanische Schüler dort soll bis 2015 Besitzer eines kostenloses Tablets werden. Sogar die Türkei hat die kleinen, flachen Wunderdinger ausgeschrieben. In Deutschland aber ruht der See still. Die föderale Bildungspolitik ist viel zu dement, um auch nur darüber nachzudenken, ob man darüber nachdenken sollte, ob man Schulen digitalisieren könnte.
Immerhin: Allenthalben treffen sich Initiativen und Gruppen, um das neue Lernen zu sondieren. Autodidakten und Einzelkönner aus Schulen, Pfadfinder der Industrie und Nerdcrowds wie das Co:llaboratory Lab. Nicht nur in Hamburg. Am Montag tagte in Berlin die Konrad-Adenauer-Stiftung zu Jugend und Medien. Am Dienstag luden Zeit und Telekom-Stiftung zur Bildungskonferenz 2013. Der Ablauf beider Tagungen war typisch: Bei der Adenauer-Stiftung redeten dreieinhalb Stunden lang nur Experten und Erwachsene über den jungen Medienkonsum, erst dann durften drei Vorzeigejugendliche ran – für 20 Minuten.
Bei Zeit und Telekom wurden Von-Angesicht-zu-Angesicht-Befragungen von Allensbach unter 507 Lehrern und 614 Schülern vorgestellt. Die Ergebnisse offenbarten die digitale Spaltung: Nur 18 Prozent der Lehrer „nutzen im Unterricht häufig digitale Medien“ – der Rest nur ab und zu bis nie. Und die Spaltung ist eine doppelte. Sie trennt Lehrer und Schüler, die sich besser mit Internet und Computer auskennen als Pädagogen. Und sie trennt Gymnasien vom Rest der Schulwelt, weil der Computereinsatz an Gymnasien viel verbreiteter ist. Laut Allensbach geben 47 Prozent der Lehrer an, dass sie „alles in allem einen ganz guten Überblick über die Möglichkeiten der digitalen Medien in der Unterrichtsgestaltung haben“.
Als dieses Ergebnis über den Nachrichtendienst Twitter verbreitet wurde, kam es spontan zu Unmutsbekundungen von Lehrerbloggern – diese Zahl sei in Wahrheit niemals so groß. Allensbach förderte zutage, dass die Skepsis der Lehrer gegenüber digitalen Medien groß ist: Die Hälfte denkt, dass Schüler selbst im Unterricht etwas anderes auf dem Bildschirm machen, als zu lernen; gar zwei Drittel meinen, dass Schüler dächten, sie müssten nicht mehr selbst lernen. Was man daran sieht ist: Otto Normallehrer tangieren digitale Medien und Nerd-Treffen kaum.
Virtuelles Feedback
Dabei gibt es bereits Beispiele, wo das mobile Lernen in der Realität erkennbar wird – und sich als Gewinn erweist. In Hamburg präsentierte eine Berufsschullehrerin der Elly-Heuss-Knapp-Schule Neumünster einen Blended-learning-Ansatz, einen Verschnitt von virtuellem und realem Lernen, der auf seine Art ausgefeilt ist. Friederike Pelz bildet Fachkräfte für Pflegeassistenz aus, sie will nicht, dass ihre Schüler „sich im Altenheim falsche Handgriffe angewöhnen, die für die Patienten schmerzhaft sind“. Deswegen schätzt sie „das direkte und schnelle Feedback über die virtuellen Instrumente“.
Das Format EduCamp war bisher viel schneller und innovativer als etwa die Zeit-Konferenzen. Weil es viel Know-how zusammenbringt und immer die experimentellsten Formate probiert. Aber trotz der großen Zahl an Leuten in Hamburg zeigte sich so etwas wie eine Entfremdung. Zwischen den superklugen Bloggern wie Guido Brombach oder Jöran Muuß-Merholz, die Apps konstruieren und diffizile didaktische Fragen aufwerfen („Anti-Copy-Paste-Aufgaben“) auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite jenen, die wieder zu ganz normalen Teilnehmern werden. Allzu oft sah man in Hamburg simple Frontalveranstaltungen – oder Laberrunden mit Non-Themen wie „Lernen gestern – heute – morgen“.
Eine anderen Weg geht ausdrücklich in Frankfurt Ende nächster Woche die Bundesarbeitsgemeinschaft Freier Alternativschulen. Sie will „selbstbestimmtes Lernen in der digitalen Gesellschaft“ diskutieren – ausdrücklich mit ihrer Lehrerklientel, die den nicht mehr ganz so neuen Medien sehr kritisch gegenübersteht. Die Tagung ist übrigens für jedermensch offen – auch für Nerds.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles