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Digitales Lernen im KinderzimmerVom Sofa in die Abofalle

Der Staat will digitales Lernen fördern. Unternehmen freuen sich über den direkten Draht ins Kinderzimmer und nutzen das zuweilen aus.

Eine Goldgrube für zweifelhafte Geschäftsleute? Schularbeiten am heimischen Schreibtisch Foto: Andrea Kueppers/plainpicture

Berlin taz | Seit im März die Schulen geschlossen worden sind, ist Peter Behrens* im Nebenjob auch Lehrer. Seine beiden Kinder haben einige Stunden pro Woche Unterricht in der Schule und verbringen ansonsten einen Großteil ihrer Unterrichtszeit zu Hause.

Um SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen den Hausunterricht zu erleichtern, haben Bund und Länder am 26. März beschlossen, den Ankauf von Lernprogrammen zu fördern. Hundert Millionen Euro haben Kultusministerkonferenz und Bundesbildungsministerium für diesen Zweck bereitgestellt.

Den Gebrauch eines solchen Lernprogramms empfahl auch eine Lehrkraft an der Berliner Schule von Behrens’ jüngstem Kind. „Die Lehrkraft hat mehrere Familien direkt aufgefordert, ihre Kinder bei Sofatutor anzumelden“, erzählt Behrens. Dieses Unternehmen stellt Lehrkräften Unterrichtsmaterialien kostenlos zur Verfügung und verteilt seit Beginn der Coronapandemie vermehrt Gutscheincodes und Probe-Abos.

Zu Beginn sind diese Programme noch kostenlos, doch nach Ablauf der dreißigtägigen Probezeit folgt die unangenehme Überraschung: „Sofatutor lockt Eltern in Knebel-Abos“, sagt Behrens. „Machen die NutzerInnen einen Fehler, landen Sie in einem Zweijahres-Premium-Abo, für das sofort 430 Euro abgebucht werden.“ So war es jedenfalls bei ihm.

2011 gab es noch Preise für Sofa-Tutor

Vera Fricke ist beim Bundesverband Verbraucherzentrale zuständig für Bildung. Sie hat langjährige Erfahrung mit Werbung im Bildungssystem und rät Betroffenen, sich bei vergleichbaren Fällen direkt an den Verbraucherschutz zu wenden. Man sei „diesbezüglich schon geübt“.

Zu Sofatutor möchte sie sich nicht direkt äußern, sie spricht aber von systematischen Vorgängen. Ihre Forderung: „Der Gesetzgeber muss Grauzonen schließen, sodass Lehrkräfte nicht alleingelassen werden und ohne passende Ausbildung bei Material und Plattformen differenzieren müssen.“ Die Grauzonen sind in ihren Augen die „Einfallstore“, die es im Bildungssystem „bis zum Umkippen“ gebe.

Sofatutor-Gründer Stephan Bayer verwahrt sich indes gegen den Vorwurf, dass Kunden in Abo-Fallen gelockt würden: „An sechs verschiedenen Stellen weisen wir auf Kosten und Ende des Probe-Abos hin. Wir arbeiten nicht mit Abo-Fallen.“ Die Aussage sei „kränkend, kriminalisierend und falsch“. Man leiste in schwierigen Zeiten einen Beitrag zur Unterstützung der Schulen, müsse dabei aber die Balance zwischen Helfen und Wirtschaftlichkeit halten.

In seinen Augen sind die monatlichen Kosten von 15 bis 20 Euro fair und von jeder Familie stemmbar, da Einzelnachhilfestunden meist ebenfalls nicht für unter 20 Euro pro Sitzung zu bekommen sein. Außerdem sei man „in hundert Prozent der Beschwerdefälle“ kulant und würde nicht gewünschte Abos wieder annullieren.

Auf der Lernplattform des Berliner Unternehmens schauten sich zu Jahresbeginn bereits mehr als anderthalb Millionen NutzerInnen Erklärvideos an, machten interaktive Übungen oder chatteten mit LehrerInnen. Im Zuge der Coronakrise haben sich die Nutzerzahlen auf sechs Millionen NutzerInnen pro Monat vervierfacht. Mittlerweile arbeiten auch mehr als fünftausend Schulen mit Sofatutor zusammen. Das Unternehmen wurde 2011 vom Bundespräsidenten als Ort im Land der Ideen preisgekrönt. In Bremen wurde Sofatutor sogar landesweit ins Schulsystem integriert, Zugänge für Schüler werden aus Landesmitteln bezahlt.

Ein „ausgesprochen lukrativer Absatzmarkt“

Privatwirtschaftliche Unternehmen spielen im Bildungssystem eine immer größere Rolle. Das belegen nicht nur die Geschäftszahlen von Sofatutor und Konkurrenzanbietern. Eine im Mai im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlichte Studie zur „Ökonomisierung schulischer Bildung“ geht davon aus, dass die Corona­krise diesen Prozess noch weiter vorantreibt. Die Pandemie, die eindrucksvoll den dringenden Bedarf an digitaler Ausstattung von Schulen belegt, ermögliche „Digitalkonzernen einen großflächigeren Zugang zu den Schulen“ und in Zeiten von Homeschooling auch ins Kinderzimmer, meint Tim Engartner, Autor der Studie.

Engartners Studie legt nahe, dass Bund und Länder nicht zuletzt durch den Anfang 2019 beschlossenen DigitalPakt Schule Digitalkonzernen einen „ausgesprochen lukrativen Absatzmarkt“ geschaffen haben. Aus diesem DigitalPakt stammt auch das Geld für Softwareprogramme.

Sofatutor hat mittlerweile einen Abonnenten weniger. Nach deutlicher schriftlicher Beschwerde hat das Unternehmen den Vertrag mit Behrens aufgelöst und die entstandenen Kosten zurückgezahlt. Dass sich die Privatwirtschaft im schulischen Bereich bis zum Bankkonto schmuggelt, findet Behrens nicht korrekt.

* Der Name wurde auf Wunsch des Protagonisten geändert.

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1 Kommentar

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  • Kapitalistischer Irrsinn. Solche Programme müssen vom Staat entweder selbst entwickelt oder halt in Auftrag gegeben werden und anschließend kostenlos zur Verfügung stehen. Das was da gerade passiert ist ein weiterer Schritt hin zu mehr Privatisierung des Bildungssystems.