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Digitale WissenschaftsshowWissenschaftliche Durchbrüche

Corona zwingt die Wissenschaft ins Internet. Zwei große Berliner Science-Events werden dieses Jahr vollständig ins Netz verlegt.

Auch die Produktion von Antikörpern in Pflanzen war ein Thema der Berliner Wissenschaftsshow Foto: Sean Gallup/getty images

Berlin taz | Not macht erfinderisch. Auf den ersten Coronaschock reagierten die Wissenschaftsvermittler der Berlin Science Week radikal: Sie stellten ihr Kreativevent – das noch bis zum 10. November läuft – komplett auf virtuell um. Mit der digitalen Globalisierung will die Falling Walls Foundation zugleich den ersten Welt-Wissenschaftsgipfel in Berlin etablieren.

Derzeit ist im Radialsystem Fünf, dem hippen Konferenzzentrum am Spreeufer, tote Hose. Geschlossen wegen Coronalockdown. Ohne das Virus würden die Roadies jetzt dort die Technik für die alljährliche Wissenschaftskonferenz Falling Walls aufbauen. Jedes Jahr kamen dort zum 9. November in Erinnerung an den Fall der Berliner Mauer führende Forscher aus der ganzen Welt zusammen, um von den aktuellen Durchbrüchen in ihren wissenschaftlichen Disziplinen zu berichten. Durch die lockere Präsentationsform war Falling Walls, angestoßen von dem damaligen Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner, schnell zum Kultevent in der sonst drögen Konferenzwelt der Wissenschaft geworden.

Vor fünf Jahren rollte der Veranstalter, die gemeinnützige Falling Walls Foundation, zusätzlich die Berlin Science Week aus, die in den ersten zehn Novembertagen eine Vielzahl von Wissenschaftstagungen und -vorträgen in Berlin in einer „Eventmarke“ bündelte. Im vergangenen Jahr zogen die über 100 Termine rund 20.000 Besucher an.

Und nun, im Coronajahr 2020? „Dies in diesem Jahr einfach so zu wiederholen, war natürlich nicht möglich und wäre verantwortungslos gewesen“, sagt Jürgen Mlynek als Kuratoriumsvorsitzender der Falling Walls Foundation. „Wir haben mit unseren Partnern in aller Welt gesprochen und rund um den Globus große Zustimmung bekommen, in diesem Jahr alles anders zu machen“, erläutert der frühere Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Veranstaltung ist ein Millionengeschäft. Allein das Land Berlin gibt in diesem Jahr der Berlin Science Week einen Zuschuss von 300.000 Euro und der Falling-Walls-Konferenz weitere 150.000 Euro.

Ein Investment, um Berlin vielleicht zum „Davos der Wissenschaft“ zu machen. Einen Nobelpreis gab es in diesem Jahr ja schon. Weitere bedeutende Finanziers sind das Bundesforschungsministerium und diverse Forschungsinstitute und Wissenschaftsstiftungen.

Digitales Kombipaket

Mit dem digitalen Turnaround standen die Falling-Walls-Organisatoren im Frühjahr vor einer komplizierteren Aufgabe als die Hochschulen, die ihre akademische Lehre von sofort auf jetzt auf Onlineformate umzustellen hatten. Der World Science Summit, unter dem das digitale Kombipaket von Berlin Science Week und Falling Walls seitdem firmiert, musste neben der Technik auch das Geschäftsmodell neu erfinden.

„Das war eine Arbeit im gestreckten Galopp“, bemerkt Karin von Hülsen, die Geschäftsführerin der Falling Walls Foundation. Waren früher die 450 Sitzplätze im Radialsystem sowie die 15 Referenten eine logistische Limitierung, so können „bei der rein digitalen und vollständig umgebauten Ausgabe von Falling Walls mehr Forschende ihren wissenschaftliche Durchbruch vorstellen“, so von Hülsen,

Dazu wurden im Frühjahr Aufrufe an die wissenschaftlichen Einrichtungen in der ganzen Welt verschickt, sich mit ihren Forschungsdurchbrüchen in Berlin zu bewerben. Die Resonanz war enorm: 950 kurze Videoclips wurden eingereicht, 600 davon kamen in eine erste Auswahl. „Darunter viele herausragende Bewerbungen“, verrät Mlynek. „Die zehn Auswahljurys haben keine einfache Arbeit.“

Am 9. November werden die Gewinner im großen Finale vorgestellt. Themen sind die Lebenswissenschaften, Naturwissenschaft, Ingenieurswissenschaften sowie Sozial- und Kulturwissenschaften. Digitale Bildung, Innovationsmanagement und Forschungs-Start-ups sind weitere Themen des Wettbewerbs. Schon im Vorfeld stellen sich die Aspiranten im Netz vor und beantworten Fragen aus dem virtuell anwesenden Publikum. Ein weltumspannendes Wissensnetzwerk: Global Brain.

Insgesamt kamen so für die diesjährige Berlin Science Week 229 Veranstaltungen zusammen mit mehr aus 500 Referenten rund um den Globus. Zunächst waren noch 12 physische und 36 hybride Events vorgesehen, die aber dem jüngsten Novemberlockdown zum Opfer fielen. Darunter auch die jährliche Verleihung des Berliner Wissenschaftspreises, den der Regierende Bürgermeister Michael Müller am heutigen Freitag im Museum für Naturkunde überreichen wollte. Aber auch das ist dicht.

Bei Felix Rundel ist derzeit „Land unter“. Der Falling-Walls-Programmmanager switcht von einem Digitaltermin zum nächsten. „Das Digitalformat ist erheblich aufwendiger, als eine physische Konferenz vorzubereiten“, sagt er. Die positive Seite ist die höhere Reichweite bei der Verbreitung. „Wir versuchen, das Beste aus beiden Welten zu kombinieren“, verspricht Rundel. Für die gesamte Veranstaltung wurde ein eigenes Conferencing-System von dem Marketing-Startup Advalyze entwickelt.

„Jede Session wird von uns vorher minutiös technisch durchgetestet“, berichtet Rundel. In einem kleinen Ladengeschäft in der Reinhardstraße, das zuletzt die FDP benutzte, wurde von der Medienagentur Attention Media ein kleines Fernsehstudio eingerichtet. Von dort gibt Rundel zusammen mit der RBB-Fernsehmoderatorin Astrid Frohloff regelmäßig in einer Webschalte den Überblick über die Highlights des Tages.

Die Onlinevorträge werden zum Teil auf das Videoportal von Youtube geschaltet. Auch wenn dort bei der Livesendung nur einige Dutzend aktive Zuschauer angezeigt werden, kommen nach Aussage Mlyneks in der Summe doch einige Hundert Nutzer bei der Erstausstrahlung zusammen. „Denn es schalten sich immer wieder neue dazu und andere ab.“

So auch bei dem Vortrag des russischen Physikers Ruslan Yunusov, der live aus Moskau über die Planungen Russlands im Quantencomputing berichtete, für Kenner ein informativer Leckerbissen. Die Quantenforschung ist in diesem Jahr ein Schwerpunkt der Science Week, ein Lieblingsthema Mlyneks, der auch an der Entwicklung des milliardenschweren „EU-Quanten-Flaggschiffs“ mitgewirkt hat.

Wie viele Nutzer sich bis zum Ende der Science Week eingeloggt haben werden, können die Veranstalter schwer abschätzen. Eine Zahl von 50.000 würde Mlynek schon als Erfolg verbuchen. Aber diese Zahl würde sich durch einen zweiten Vorteil der Digitalisierung kontinuierlich erhöhen: Das ist neben der Reichweite die Dauerhaftigkeit. Alle Vorträge und Diskussionen sollen später dauerhaft online abrufbar sein.

In dieser Woche entsteht nicht nur eine digitale Weltuniversität für die wissenschaftsinteressierte Community. Auch die Initiatoren befinden sich im Bildungsgroßversuch: „Wir selbst lernen im Moment irre viel“, bemerkt Geschäftsführerin von Hülsen. Aus einem Entertainmentansatz könnte sich so womöglich ein dauerhaftes Bildungstool im Internet entwickeln, produziert in Berlin.

Programme und Termine sind im Internet unter www.falling-walls.com zu finden

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