Dietmar Wischmeyer über Satire: „Mal die Vernunft im Dorf lassen“
Dass er sich aufregen kann, über Politik und Gesellschaft, sieht der Satiriker Dietmar Wischmeyer als Zeichen, noch nicht völlig verblödet zu sein.
taz: Herr Wischmeyer, sind Sie ein ausgeglichener Mensch?
Dietmar Wischmeyer: Oh nein. Ich wäre es gerne, aber ich kann nicht ausgeglichen sein, weil ich mich ja mit der Tagespolitik beschäftigen muss. Ein ekliges Leidwesen meiner beruflichen Tätigkeit. Aber diese Unausgeglichenheit, dieses Sich-noch-aufregen-können ist ja auch ein Lebenszeichen, dass man noch nicht völlig verblödet ist. So lüg’ ich mir das zurecht.
Und aus dieser Unausgeglichenheit kommt dann Ihre Wut auf den „Artgenossen, der uns im Wege steht“, wie Sie behaupten?
Am Art- und Zeitgenossen nervt mich einfach, dass er so dumm ist. Nie war der Zugang zu Bildung so leicht und so umsonst wie heute. Es wird niemand prinzipiell, sei es aus Geldmangel oder sonst irgendwas, vom Zugang zu Bildung ausgeschlossen. Aber nie waren die Leute so doof. Und je saturierter sie sind und je mehr Geld sie haben, desto blöder werden sie. Das regt mich auf.
Und für alle, die das auch aufregt, sind Ihre Auftritte eine Art Katharsis?
Das hoffe ich. Das kathartische Moment der Satire ist nicht zu leugnen. Es ist gut, sich den ganzen Scheiß mal von der Seele zu lachen. Die Gefahr dabei ist aber, dass man das schon für Politik hält. Das ist das, was ich an linkem Kabarett immer verachtet habe: dass das Publikum das stellvertretend für politisches Handeln nimmt. Man geht zu einem Auftritt von Volker Pispers und hält sich danach für links. Oder für politisch aktiv, weil man mal so was wie „Dresdner Stichlinge“ oder „Beutelratten“ gehört hat. Das kann es nicht sein. Deswegen finde ich den schlechten Witz häufig besser als den wertvollen Witz, weil er einfach tiefer in der Seele sauber macht.
Die Person: 58 Jahre alt, geboren im niedersächsischen Landkreis Melle.
Zu hören: Wischmeyer prägte in den Achtziger und Neunzigern das "Frühstyxradio“ bei Radio ffn, gemeinsam mit Oliver Welke und Oliver Kalkofe. Heute ist er unter anderem auf RadioEins (RBB) mit „Wischmeyers Schwarzbuch“ zu hören.
Zu sehen: Regelmäßig tritt er in der „heute Show“ beim ZDF auf.
Aber Sie sind ja auch häufiger im ZDF zu sehen. Wenn man vor so alten Leuten auftritt, ist man vom politischen Kabarett auch nicht weit entfernt.
Politisches Kabarett hat nicht so viel mit dem Alter zu tun. Und das ZDF wendet sich mit der „heute Show“ ja nicht an den klassischen ZDF-Zuschauer, der da aber trotzdem zuschaut. Der ZDF-Zuschauer guckt etwas, weil es ihm gezeigt wird. Deswegen guckt er sich auch die „heute Show“ an. Und deswegen kommt er auch zu meinen Veranstaltungen und ist oft konsterniert: Das ist nicht seine Welt.
Vielleicht weil die Leute Angst vor Ihnen haben. „Der Deutsche hat ständig Angst“, sagen Sie ja selbst. Woher kommt die?
Die Urangst des Deutschen ist, dass sich überhaupt irgendetwas verändert. Das will er nicht. Und je älter er wird, desto weniger will er. Siehe Wutbürger und Stuttgart 21.
Aber dass gegen Stuttgart 21 protestiert wird, oder die Bewerbung für Olympia in Hamburg abgelehnt wird, ist doch ein Zeichen für einen Rest Intelligenz in einem zu Dummheit neigenden Volk.
Das kann durchaus sein. Aber die Motive der Leute, die gegen Stuttgart 21 protestiert haben, sind keine, die nach akribischer Forschung entstanden sind, sondern daraus, dass viele einfach dagegen sind, dass sich irgendwas ändert. Wie erklärt sich dieser Wahnsinnsaufschrei gegen TTIP? Die Leute wissen doch gar nicht, worum es da geht. Jedenfalls nicht in dem Maße, wie sie dagegen demonstrieren. Dass der Datenschutz den Bach runter geht, interessiert hingegen keine Sau mehr. Es ist alles so eine Gefühligkeit.
Ich bin nach den Anschlägen von Paris und der Absage des Länderspiels in Hannover gefragt worden, ob ich mich bei Veranstaltungen nun bedroht fühlte. Und ich habe geantwortet, dass es doch scheißegal ist, wie ich mich fühle: Entweder gibt es eine Bedrohung und die stellen Leute fest, die sich hoffentlich besser damit auskennen als ich, oder es gibt keine Bedrohung. Und die 40.000 Leute, die zum Fußball in Hannover gegangen sind, haben sich auch nicht bedroht gefühlt. Die haben lediglich ne’ Durchsage zu hören bekommen, dass sie sich verpissen sollten. Man muss doch mal die Vernunft im Dorf lassen und nicht ständig fühlen. Nervt mich sowieso, diese scheiß Fühlerei dauernd.
Das klingt ganz schön obrigkeitshörig. Irgendjemand sagt Ihnen, dass Sie nach Hause gehen sollen, und Sie denken sich nur: Na ja, da wird schon einer wissen, was er macht, dann geh ich mal nach Hause.
Obrigkeitshörigkeit ist nicht immer falsch. Sie ist nur dann bescheuert, wenn man alles kritiklos hinnimmt, was einem vom Staat gesagt wird. Das finde ich schon bedenklich. Aber wenn man von Sicherheitskräften gesagt bekommt, dass man sofort das Stadion verlassen solle, weil eine Bedrohung vorliege, dann hoffe ich, dass alle sehr obrigkeitshörig sind und nicht stehenbleiben und das erst mal ausdiskutieren wollen: „Also ich fühle mich jetzt nicht bedroht, Herr Wachtmeister, können Sie nicht mal ein paar Argumente bringen?“ Leck mich am Arsch. Ein bisschen was muss schon funktionieren. Man muss nicht überall Revoluzzer sein. Ich will nicht die Straßenverkehrsordnung an jeder Kreuzung ausdiskutieren. Ich halte einfach an.
Aber ist das nicht nur unsere spießige Ader? Ich gehe noch nicht einmal nachts über rote Ampeln – selbst dann, wenn alle an mir vorbei über die Straße marschieren.
Das rettet irgendwann Ihr Leben. Garantiert. Ich habe losen Kontakt zu einem Montenegriner, den ich ständig an der Kfz-Zulassungsstelle treffe, weil der irgendwelche Autos aufkauft und irgendwohin verkloppt. Der hat mir mal gesagt, was der große Vorteil an Deutschland ist im Vergleich mit vielen anderen Staaten, auch seiner montenegrinischen Heimat: Die Leute haben Vertrauen zueinander. Wenn ich hier jemandem etwas verkaufe, gehe ich fest davon aus, dass er oder sie es auch bezahlt. Und wenn ich hier über eine grüne Ampel fahre, gehe ich fest davon aus, dass die, die Rot haben, auch anhalten oder stehenbleiben. Das erleichtert das Leben ungemein. Das ist ein großer Vorteil, den ich nicht leichtfertig zugunsten einer falsch verstandenen Freizügigkeit aufs Spiel setzen wollte. Lieber im Großen skeptisch sein und im Kleinen hörig.
Sie sind ja ein richtiger Deutschland-Fan.
Ja, vieles finde ich gut hier. Alles andere wäre ja auch bescheuert. Es gibt so viel Scheiße auf der Welt, dass man sich auch mal auf die wenigen Sachen besinnen sollte, die hier funktionieren und wirklich gut sind.
Schauen wir doch mal auf Deutschland und die Welt: Pegida hasst Flüchtlinge, Politiker und natürlich die Lügenpresse. Russland hasst die Türkei. Und der IS hasst einfach alle. Fällt der Hass schwerer in Zeiten, in denen so viel gehasst wird?
Ich glaube, ich hasse niemanden. Es tun mir eher Leute in ihrer selbst verschuldeten Beschränktheit leid. Und man fühlt sich bedroht durch die Dummheit mancher Leute. Ich finde viele Politiker unangenehm. Zumindest in ihrer Politikerrolle gegenüber dem Stimmvieh: Wie sie eiskalt lügen, in der festen Überzeugung, dass sich auch eine Lüge ins Gehirn der Idioten einhämmert, wenn man sie nur oft genug wiederholt. Das finde ich verwerflich. Aber ich hasse sie nicht dafür. Dafür ist mir der Hass ein zu wertvolles Gut, als das ich es an ihnen verschwenden würde.
Und die Pegida-Demonstranten?
Hassen die wirklich etwas? Hass ist ja eine sehr intensive Leidenschaft und die kommen mir viel zu tumb vor, als dass sie eine so tiefe Emotion überhaupt zulassen könnten.
Aber irgendeinen Zorn müssen die als Motivation schon in sich tragen, um sich zu Tausenden zu versammeln.
Ja, aber es ist doch interessant, dass vor zwei Wochen, als es ein bisschen kälter war, Tausende weniger da waren. Der Geist von Stalingrad herrscht bei denen also überhaupt nicht. Was sind das für erbärmliche Weicheier? Bloß weil es nur noch drei Grad war, kommen die Schwachmaten nicht mehr. Das kann man doch nicht ernst nehmen. Wenn man eine politische Meinung hat, kann man die doch nicht vom Thermometer abhängig machen. Es war ja nun auch nicht 20 Grad unter Null. Aber ich finde sowieso, dass denen viel zu viel Aufmerksamkeit zuteil wird – mit Gegendemonstrationen und all der politischen Folklore. Ich hab keine Lust, AfD und Pegida in ihrem Märtyrerbewusstsein zu bestätigen. Das sind Idioten. Lasst die doch machen.
Widmen Sie sich in Ihrem Programm denen deswegen so verhältnismäßig wenig?
Es ist halt sehr leicht auf Pegida einzudreschen. Wem soll ich denn bitteschön noch erklären, dass das verbohrte Idioten sind? Meine Zuschauer oder Zuhörer wissen das doch sowieso schon längst. Und denen, die es nicht wissen, brauch ich es nicht zu sagen, weil ich dann ja eh Teil der Lügenpresse bin. Die würde ich also auch noch bestätigen.
Aber viele von denen, die nicht merken, was für Idioten da auf der Straße sind, erreichen Sie gar nicht mehr. Die erreichen auch andere nicht. Bereitet Ihnen das nicht Sorge, dass sich da eine parallele Desinformationsgesellschaft mithilfe der sozialen Medien entwickelt?
Das ist wirklich bedrohlich. Es ist nicht dieses Einzelphänomen: Irre auf dem Dresdner Striezelmarkt, die sich auf den Nationalsozialismus einen runterholen. Es ist viel schlimmer, dass sich komplett irregeleitete Paralleluniversen durch die sozialen Netzwerke gegenseitig nur noch bestätigen in ihrer Sicht auf die Dinge, und man gar nicht mehr eindringt in diese Welt. Da kann man mit Aufklärung, Satire und Witzen auch nichts mehr erreichen.
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