Diesel weg, Nahverkehr her: Die Wien-Idee
Bus und Tram umsonst in Deutschland? Ein Blick gen Österreich zeigt: Das reicht nicht. So sieht das auch Heinrich Strößenreuther.
![Straßenbahn in einer abendlichen Wiener Straße, mit langer Belichtungszeit, deswegen verhuscht Straßenbahn in einer abendlichen Wiener Straße, mit langer Belichtungszeit, deswegen verhuscht](https://taz.de/picture/2562352/14/WienerStrassenbahn.jpeg)
Heinrich Strößenreuther hat eine Petition aufgesetzt. Das allein wäre keine Nachricht, es gibt Hunderte davon. Aber: Wenn Strößenreuther eine aufsetzt, kann das für die Politik ganz schön lästig werden.
Der Berliner Verkehrsexperte fordert, die Steuervergünstigungen für die über 12 Millionen Dieselfahrzeuge in Deutschland abzuschaffen und die 8 Milliarden Euro, die das spart, in Busse und Bahnen in Deutschland zu investieren. Genau genommen soll der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) für alle dann nur noch einen Euro am Tag kosten. Simple Botschaft: Diesel doof, Bus gut.
In Berlin war Strößenreuther der Kopf des Volksentscheids Fahrrad – und hat so viel Druck auf die Politik ausgeübt, dass die Stadt ihre Fahrradwege jetzt endlich stark ausbauen will. Nun will er „die Bewegung aufnehmen, die der Bund mit seinem Vorschlag ausgelöst hat“.
Ausgelöst hatten die „Bewegung“ ausgerechnet Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Finanzminister Peter Altmaier (CDU). Seit Jahrzehnten reißt Deutschland in vielen Städten die laut EU zulässigen Stickoxidgrenzwerte – deshalb droht der Bundesregierung nun eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Nun schrieben die Minister der EU-Kommission, man solle den Nahverkehr gratis anbieten, um die dieselverseuchte Luft endlich sauberer zu bekommen. Zunächst soll es einen Versuch in fünf Modellstädten geben.
Doch so richtig will die Idee nicht zünden. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sprach von einem „frommen Wunsch“, selbst der ökologisch gesinnte Verkehrsclub Deutschland sagt, kostenloser Nahverkehr sei „nicht realistisch“, Busse und Bahnen wären sowieso längst heillos überfüllt.
Konsequenter Ausbau des Nahverkehrs nötig
Ähnlich sieht das auch Strößenreuther. Er will aber verhindern, dass die Diskussion verpufft. „Deshalb will ich eine Idee weiterentwickeln, die woanders längst funktioniert.“ Die Rede ist vom Wiener Modell – 1 Euro am Tag für den Nahverkehr. Die österreichische Hauptstadt senkte 2012 den Preis einer Jahreskarte für den ÖPNV von 449 Euro auf 365 Euro. Eigentlich hätte das ein Loch in die Kasse der Bahn reißen müssen.
Doch: Die Stadt verkaufte 2017 780.000 Jahreskarten, mehr als doppelt so viele wie 2011. Die Zahl der Fahrgäste stieg um fast 100 Millionen auf 962 Millionen im Jahr. Die Erlöse aus dem Fahrkartenverkauf sind sogar gestiegen: Von 458 Euro 2011 auf heute 503 Millionen. Damals wie heute deckt der ÖPNV in Wien rund 60 Prozent seiner Kosten selbst. Und die Zahl der Autos hat zwar zugenommen – allerdings ist Wien auch eine der am schnellsten wachsenden Metropolen Europas. Heute gibt es pro Einwohner weniger Pkws als im Jahr 2012.
Der Verkehrsbetrieb „Wiener Linien“ warnt aber davor, die Attraktivität des ÖPNV nur am Preis zu messen. „Wenn Sie 10 Minuten auf eine U-Bahn warten müssen und die dann übervoll und verdreckt ist, dann bringt es auch nichts, wenn man umsonst fährt“, sagt ein Sprecher der taz. Wien baut deshalb seinen Nahverkehr seit Jahrzehnten konsequent aus. „Bei uns schaut niemand auf den Fahrplan, die U-Bahnen kommen in den Stoßzeiten alle drei Minuten“, so der Sprecher.
Noch radikaler waren vor einigen Jahren Pläne von Grünen, Linken und Piraten zur Einführung eines „Bürgertickets“ in Berlin. Der Plan: Eine Art Nahverkehrsabgabe ähnlich den Rundfunkgebühren für alle Berliner in Höhe von 15 Euro; Pendler sollten insgesamt 55 Euro zahlen – statt 80 Euro für ein Monatsticket wie jetzt. Auch dieser Ansatz sollte Kunden vom Auto in Richtung Bus und Bahn weglenken – und die Stadtluft reiner machen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau