piwik no script img

Diesel weg, Nahverkehr herDie Wien-Idee

Bus und Tram umsonst in Deutschland? Ein Blick gen Österreich zeigt: Das reicht nicht. So sieht das auch Heinrich Strößenreuther.

Heuer schnell und dazu noch relativ günstig: der ÖPNV in Österreichs Hauptstadt Foto: imago/Westend61

Heinrich Strößenreuther hat eine Petition aufgesetzt. Das allein wäre keine Nachricht, es gibt Hunderte davon. Aber: Wenn Strößenreuther eine aufsetzt, kann das für die Politik ganz schön lästig werden.

Der Berliner Verkehrsexperte fordert, die Steuervergünstigungen für die über 12 Millionen Dieselfahrzeuge in Deutschland abzuschaffen und die 8 Mil­liar­den Euro, die das spart, in Busse und Bahnen in Deutschland zu investieren. Genau genommen soll der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) für alle dann nur noch einen Euro am Tag kosten. Simple Botschaft: Diesel doof, Bus gut.

In Berlin war Strößenreuther der Kopf des Volksentscheids Fahrrad – und hat so viel Druck auf die Politik ausgeübt, dass die Stadt ihre Fahrradwege jetzt endlich stark ausbauen will. Nun will er „die Bewegung aufnehmen, die der Bund mit seinem Vorschlag ausgelöst hat“.

Ausgelöst hatten die „Bewegung“ ausgerechnet Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Finanzminister Peter Altmaier (CDU). Seit ­Jahrzehn­ten reißt Deutschland in vielen Städten die laut EU zulässigen Stickoxidgrenzwerte – deshalb droht der Bundesregierung nun eine Klage vor dem Europäischen Gerichts­hof. Nun schrieben die Minister der EU-Kommission, man solle den Nahverkehr gratis anbieten, um die dieselverseuchte Luft endlich sauberer zu bekommen. Zunächst soll es einen Versuch in fünf Modellstädten geben.

Doch so richtig will die Idee nicht zünden. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sprach von einem „frommen Wunsch“, selbst der ökologisch gesinnte Verkehrsclub Deutschland sagt, kostenloser Nahverkehr sei „nicht realistisch“, Busse und Bahnen wären sowieso längst heillos überfüllt.

Konsequenter Ausbau des Nahverkehrs nötig

Ähnlich sieht das auch Strößenreuther. Er will aber verhindern, dass die Diskussion verpufft. „Deshalb will ich eine Idee weiterentwickeln, die woanders längst funktioniert.“ Die Rede ist vom Wiener Modell – 1 Euro am Tag für den Nahverkehr. Die österreichische Hauptstadt senkte 2012 den Preis einer Jahreskarte für den ÖPNV von 449 Euro auf 365 Euro. Eigentlich hätte das ein Loch in die Kasse der Bahn reißen müssen.

Doch: Die Stadt verkaufte 2017 780.000 Jahreskarten, mehr als doppelt so viele wie 2011. Die Zahl der Fahrgäste stieg um fast 100 Millionen auf 962 Millionen im Jahr. Die Erlöse aus dem Fahrkartenverkauf sind sogar gestiegen: Von 458 Euro 2011 auf heute 503 Millionen. Damals wie heute deckt der ÖPNV in Wien rund 60 Prozent seiner Kosten selbst. Und die Zahl der Autos hat zwar zugenommen – allerdings ist Wien auch eine der am schnellsten wachsenden Metropolen Europas. Heute gibt es pro Einwohner weniger Pkws als im Jahr 2012.

Der Verkehrsbetrieb „Wiener Linien“ warnt aber davor, die Attraktivität des ÖPNV nur am Preis zu messen. „Wenn Sie 10 Minuten auf eine U-Bahn warten müssen und die dann übervoll und verdreckt ist, dann bringt es auch nichts, wenn man umsonst fährt“, sagt ein Sprecher der taz. Wien baut deshalb seinen Nahverkehr seit Jahrzehnten konsequent aus. „Bei uns schaut niemand auf den Fahrplan, die U-Bahnen kommen in den Stoßzeiten alle drei Minuten“, so der Sprecher.

Noch radikaler waren vor einigen Jahren Pläne von Grünen, Linken und Piraten zur Einführung eines „Bürgertickets“ in Berlin. Der Plan: Eine Art Nahverkehrsabgabe ähnlich den Rundfunkgebühren für alle Berliner in Höhe von 15 Euro; Pendler sollten insgesamt 55 Euro zahlen – statt 80 Euro für ein Monatsticket wie jetzt. Auch dieser Ansatz sollte Kunden vom Auto in Richtung Bus und Bahn weglenken – und die Stadtluft reiner machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • [...] Die Zahl der Fahrgäste [in Wien] stieg um fast 100 Millionen auf 962 Millionen im Jahr.

     

    11 % mehr Fahrten bei einem Bevölkerungswachstum vom 9,5 % (ca. 1,7 Mio auf 1,86 Mio) ja nicht so beeindruckender Effekt...

     

    Im Vergleich dazu VBB 2011 (1.282 Mio) zu VBB 2017 (1,442 Mrd) = + 12 % bei einem Bevölkerungswachstum in Berlin von (3,292 in 2011 auf 3,69 in 2017) 12 %...

     

    "Heute gibt es [in Wien] pro Einwohner weniger Pkws als im Jahr 2012."

     

    -> Das ist auch in Berlin der Fall: 1120T in 2011 zu 1195 in 2017 (Statistika) = + 6,7 % PKW bei 12 % Bevölkerungswachstum....

  • Volle Zustimmung. Die ÖPNV-Kosten betrugen 2008 hierzulande grosso modo insgesamt 26 Mrd. €. Die Nutzerfinanzierung trug 2008 lediglich mit knapp 9 Mrd. € zur ÖPNV-Finanzierung bei. Der Rest kommt also ohnehin aus unterschiedlichen Subventionstöpfen der Öffentlichen Haushalte. Zum Ausgleich der Finanzierungslücke nach Wegfall des Nutzerbeitrages von ça 9 Mrd. € sollten sich leicht Quellen finden lassen, etwa durch die hier suggerierte Streichung der Steuerprivilegien für Dieselkraftstoff (8 Mrd.€), Maut- und höhere Parkgebühren in City-Bereichen, Einsparung der Overhaed-Kosten bei der Nutzerfinanzierung usw. Die Einsparungen bei Bau und Unterhalt der autobezogenen Infrastruktur kämen dann noch hinzu. (Vgl. https://www.zukunft-mobilitaet.net/28179/analyse/finanzierung-des-oepnv-in-deutschland/)

  • Dem Artikel kann ich nur zustimmen.

    Das eigentliche Problem spricht er nicht an. Diese Kapazitäten werden nur zweimal zwei Stunden am Tag gebraucht. Dann sind die Straßen und die Bahnen voll. Wenn 200000 Pendler in kürzester Zeit in die Stadt und aus der Stadt gekarrt werden müssen.

    Da muß man noch viel tiefer ansetzen.

    • @Werner S:

      Ja, wie aber die 2 mal 200000 mit Autos in die Stadt kommen, da denkt keiner drüber nach. Gibt ja auch nur regelmäßig Staus.

  • Hallo,

     

    ich muss sagen, dass ich prinzipiell ein sehr großer Freund von kostenlosem, oder zumindest wesentlich billigerem ÖPNV wäre.

     

    Die Argumentation muss jedoch auch, wie im Artikel beschrieben, immer mit einfassen, dass niemand auf den ÖPNV wechselt, wenn er dadurch durch Umstiegszeiten/Wartezeiten von z.B. 20 Minuten mit dem Auto auf 1h mit Bus/Bahn kommt. Ich kann den Personen nicht verübeln, wenn sie das nicht wollen.

     

    Ebenso das Problem mit verdreckten und viel zu überfüllten Wagen, trägt nicht unbedingt zur Besserung der Situation bei.

    Ich möchte hier nicht sagen, dass es immer und überall so ist, doch tritt das leider immer wieder auf.

     

    Das Problem ist hier (meiner Ansicht nach) schon seit Jahren, dass der ÖPNV nicht hinreichend finanziert und ausgebaut wird. Sobald man sich 10 mins aus der Innenstadt entfernt, hat man schon oft nur noch miserable Anbindungen.

     

    Ja ich weis, dass das ganze finanziert werden muss, doch muss man halt auch realistisch sein, dass sich nicht jede Strecke selbst halten kann. Das funktioniert nicht. Entweder man finanziert solche Sachen dann eben staatlich und sorgt für Mobilität der Bürger durch den ÖPNV, oder man muss die Autos in Kauf nehmen, was für mich auf Dauer keine Variante ist, ob ländlich oder städtisch ist da egal.

     

    Es brauch halt vernünftige Gesamtkonzepte. Einfach alles umsonst machen, würde nicht wirklich viel verändern und nur extrem viel kosten.

    Befürchte jedoch, dass das wieder so ein typischer Schnellschuss der Politik wird um ein Prestigeprojekt durchzudrücken und dann nach 3 Jahren zu sagen: "Sehr ihr. Keiner WILL mit der Bahn fahren, also können wir die auch noch mehr zusammen kürzen."

    Da beißt sich der Hund selbst in den Schwanz.

     

    MfG

    Nerei

    • @Nerei:

      Völlig richtig - schon heute ist der ÖPNV (fast immer) deutlich günstiger als der PKW. Warum sollten dann deutlich mehr umsteigen, wenn das Produkt kostenfrei ist? Die Menschen, die mit jedem Cent rechnen müssen, nutzen heute schon den ÖPNV...

       

      Somit braucht es einfach bessere Angebote, um auch die "Besserverdienenden" zum Umsteigen zu bewegen.

      • @CharlesD:

        Der Nahverkehr fast immer günstiger als der PKW? Ich weiß ja nicht wo sie wohnen aber ich bin Pendler und würde nicht sagen lieber tun als mein Auto stehen zu lassen. Alles schon durch gerechnet und ausprobiert und ich zahle so ziemlich das doppelte von dem was mich mein Auto kostet (Benzin, Steuer, Versicherung, Anschaffung eingeschlossen) wenn ic/ist dem ÖPNV fahre. Von ständigem zu spät kommen, Ausfällen und Verzögerungen möchte ich gar nicht erst anfangen. 3 von 5 Tagen in der Woche komme ich entweder 1 h zu spät auf der Arbeit oder zu Hause an. Für jemanden der keine Vertrauensarbeitszeit hat ist das fast unmöglich.

        • @Panoblia:

          Guten Tag,

           

          ich kann ihre Argumente absolut nachvollziehen.

           

          Trotzdem würde mich ihre Rechnung interessieren.

          Können sie da grob ein paar Zahlen nennen? Denn bei den meisten Rechnungen, die ich bis jetzt für mich angestellt habe, ist ÖPNV günstiger.

           

          Ich habe hierbei immer erstmal die Zeit rausgelassen. Das muss man hinterher gesondert gegeneinander vergleichen.

           

          Grüße

          Nerei