Diesel-Fahrverbote im Norden: Es bleibt spannend
Fahrverbote für Dieselstinker in Innenstädten werden wahrscheinlicher. In der kommenden Woche will das Bundesverwaltungsgericht ein Grundsatzurteil sprechen.
Das Urteil hätte bundesweite Wirkung auf alle Städte, in denen die Grenzwerte für Schadstoffe überschritten werden. Zuvor war erwartet worden, dass sofort eine Entscheidung verkündet wird. Da das Rechtsgespräch aber deutlich länger gedauert habe als vorgesehen, vertagte der vorsitzende Richter Andreas Korbmacher die Urteilsverkündung.
Zuvor hatte er ein sukzessives Vorgehen ins Spiel gebracht. Denkbar sei es, zunächst Dieselfahrzeuge mit der Abgasnorm Euro-4 (galt von 2005 bis 2009) und später Euro-5-Fahrzeuge (2009 bis 2014) mit einem Fahrverbot zu belegen. Dazu müssten sich dann die zuständigen Behörden und Stadtverwaltungen „mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit Gedanken über die Zeitschiene machen“, so das Gericht.
Damit deutete der Senat an, wie das Urteil ausgehen könnte, auf das auch etliche Städte in Norddeutschland mit Spannung – und zumeist mit Bangen – warten. Denn im Mittelpunkt der Verhandlung stand die Frage, ob Städte Fahrverbote für Dieselfahrzeuge nach geltendem Recht eigenmächtig anordnen können oder gar müssen, um Schadstoff-Grenzwerte einzuhalten, ohne auf bundeseinheitliche Regelungen zu warten.
Zu den schmutzigsten und giftigsten Städten zählen in Norddeutschland die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt Kiel sowie Hamburg. In Niedersachsen sind vor allem Hannover, Oldenburg und Osnabrück betroffen, Hildesheim, Göttingen und Braunschweig unterschreiten die Grenzwerte nur knapp, ebenso Bremen (siehe Kasten).
Vertrackt ist die Lage vor allem am Kieler Theodor-Heuss-Ring, nach Angaben des Umweltbundesamtes die fünftgiftigste Straße Deutschlands: eine viel befahrene vier- bis sechsspurige Bundesstraße quer durch die Stadt, schlechte Ausweichmöglichkeiten, steigende Verkehrsbelastungen. Die Aufgabe sei „extrem anspruchsvoll“, verlautet aus dem schleswig-holsteinischen Umweltministerium. Ein Dieselfahrverbot auf der Stadtautobahn wäre „nicht verhältnismäßig“, heißt es weiterhin trotzig im Rathaus an der Förde.
Das Umweltbundesamt sammelt und bewertet die Daten von über 500 Messstationen in deutschen Städten. Der Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) liegt bei 40 Mikrogramm (µg) pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel. Die Werte für die schmutzigsten Städte im Jahr 2017:
1. München 78 µg
2. Stuttgart 73 µg
3. Köln 62 µg
4. Reutlingen 60 µg
5. Hamburg 58 µg
6. Düsseldorf 56 µg
7. Kiel 56 µg
...
16. Oldenburg (Oldb.) 49 µg
...
29. Hannover 44 µg
29. Osnabrück 44 µg
...
42. Bremen 39 µg
42. Norderstedt 39 µg
Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) geht davon aus, dass die Grenzwerte in wenigen Jahren eingehalten werden können. Ausweichverkehr würde möglicherweise zu noch größeren Problemen an anderen Stellen führen. Zudem ist der Theodor-Heuss-Ring die Hauptschlagader für den Wirtschaftsverkehr, drastische Eingriffe hier könnten einen Verkehrskollaps auslösen.
Von einem Fahrverbot betroffen wären angeblich rund 44.000 in Kiel zugelassene Dieselfahrzeuge. Hinzu kämen aber noch Tausende Berufspendler sowie eine unklare, aber beträchtliche Zahl deutscher und skandinavischer Touristen auf den Fähren zwischen Kiel, Oslo und Göteborg.
Eine gewichtige Rolle für die Luftverschmutzung spielt auch der Dieselruß von Fähren und Kreuzfahrtschiffen. Auf diese starke Emissionsquelle weist seit Jahren der Naturschutzbund (Nabu) hin. In allen großen norddeutschen Häfen sei die Belastung durch Schiffsdiesel deutlich höher als durch den Autoverkehr. In hafennahen Quartieren Hamburgs seien die Schiffe sogar für 80 Prozent der Stickoxidemissionen verantwortlich, so der Nabu. Deshalb müssten Menschen in Kiel und Hamburg, aber auch in Bremerhaven, „doppelt unter gesundheitsgefährdenden Belastungen in der Atemluft leiden“.
In Hamburg soll nach dem Luftreinhalteplan, der im Juni vorigen Jahres vorgestellt wurde, ein Dieselfahrverbot gelten für zwei Straßen zwischen Altona und der Innenstadt: 600 Meter der Max-Brauer-Allee und ein 1,7 Kilometer langer Abschnitt auf der Stresemannstraße zählen zu den schmutzigsten Straßen der Stadt. An der Max-Brauer-Allee sollen gar keine Dieselfahrzeuge (LKW und PKW) mehr fahren dürfen, die nicht die Abgasnorm Euro VI erfüllen, die Stresemannstraße soll ausschließlich für LKW gesperrt werden, die nicht dieser Abgasnorm entsprechen.
Sollte das Bundesverwaltungsgericht solche Fahrverbote grundsätzlich genehmigen, würden diese in Hamburg relativ bald eingeführt. „Die Umsetzung würde unmittelbar nach dem Urteil beginnen“, sagt Jan Dube, Sprecher der Umweltbehörde. Allerdings müssten entsprechende Schilder erst bestellt und aufgestellt werden: „Die Durchfahrtsbeschränkungen würde erst in Kraft treten, wenn die Beschilderung komplett ist.“
Unklar ist dabei allerdings in allen betroffenen Städten, wie die Einhaltung der Verbote kontrolliert werden soll. Zuletzt hatte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) darauf hingewiesen, dass es wegen fehlenden Personals nicht möglich sei, Dieselfahrverbote ausreichend zu kontrollieren. „Wer glaubt, dass wir solche Verbote dauerhaft durchsetzen können, der irrt“, sagte GdP-Vize Arnold Plickert der Welt am Sonntag.
Tatsächlich dürften die Kontrollen schwierig sein, da es wahrscheinlich erlaubt wäre, mit einem alten Diesel Anlieger zu besuchen oder zu beliefern. Anwohner selbst und auch Müll- oder Rettungswagen dürfen natürlich ebenfalls mit ihren alten Dieseln durch die Abschnitte fahren. Insgesamt wären in Hamburg nach Senatsangaben aus dem vergangenen Jahr rund 239.000 ältere Dieselfahrzeuge von den Durchfahrtsverboten betroffen.
Nach Angaben des niedersächsischen Umweltministeriums hat sich die Luftqualität in vielen Städten im vergangenen Jahr bereits verbessert. In Braunschweig, Göttingen, Hameln, Hannover, Hildesheim, Oldenburg, Osnabrück und Wolfsburg seien die Schadstoffwerte gesunken. Die Stadt Oldenburg hat im Januar schon mal mit dem Umdenken begonnen und beschlossen, eine grüne Umweltzone einzurichten. Damit sollen rund 3.000 ältere Diesel aus der Innenstadt herausgehalten werden. Immerhin ein Anfang.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr