Das Portrait: Die westfälische Jungfer wird 200
■ Annette von Droste-Hülshoff
In der Fremdenverkehrswerbung ist sie „Westfalens bekannteste Frau“, in Literaturnachschlagewerken gar die „größte deutsche Dichterin“.
Am 10. Januar 1797 wurde Annette Elisabeth Freiin von Droste-Hülshoff bei Münster in eine grundsolide Adelsfamilie hineingeboren: die Mutter eine tüchtige Hausregentin, der Vater ein träumerischer Blumenzüchter. Was für ein Mensch jedoch „die Droste“ war, weiß man auch 200 Jahre nach ihrem Tod nicht wirklich: stockkatholisch, fromm, sittlich und anständig oder doch eher vielliebend, unstet und für jedes Abenteuer zu haben?
Erst kürzlich machte das Gerücht die Runde, Droste- Hülshoff sei bisexuell gewesen, habe auch Frauen geliebt und mit ihrem Hausfreund Levin Schücking, einem jungen Bibliothekar, ein platonisches Verhältnis gepflegt. Ob's stimmt? In jedem Fall zählt sie zu den VIPs der deutschen Dichtung, berühmt für Balladen wie „Der Knabe im Moor“ und die Beschreibung der Heidelandschaften ihrer Heimat Westfalen. Charakteristisch sind dabei ihre Visionen von übernatürlichen, dämonischen Urkräften. Ihr Kriminalroman „Die Judenbuche“ zählt seit langem zur Standardlektüre an deutschen Gymnasien, und ihr Bild ist an der Supermarktkasse allzeit präsent: Seit dem 20. Januar 1992 nämlich ziert Annette von Droste-Hülshoffs Konterfei den automatengerechten, lindgrünen Zwanzigmarkschein.
1841, sieben Jahre vor ihrem Tode, zog sie von Westfalen in das milde Klima am Bodensee. Hier lebte sie beschaulich, mit Lehnstuhl und Seeblick in ihrem „Meersburger Fürstenschlößle“, das heute den zahlreichen TouristInnen nach dem Besuch der Insel Mainau zum besinnlichen Museumsrundgang gereicht. Ausgedehnte Spaziergänge unternahm sie von hier aus mit ihrem siebzehn Jahre jüngeren „Seelenfreund“ Levin und ihren zwei mutmaßlichen amourösen Gespielinnen Sybille Mertens und Amalie Hassenpflug.
Womit wir wieder bei der Frage nach der sexuellen Identität der „größten deutschen Dichterin“ wären. Vielleicht werden die Literaturwissenschaft und die Frauenforschung die Zusammenhänge von Leben und Werk der Droste in Zukunft interdisziplinär ganz neu beleuchten. Auch ein prominentes, freigeistiges Liebesleben wäre den Platz in der Gesäßtasche ja allemal wert. Alessandro Peduto
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen