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: Die tote Frau findet keine Ruhe

„The Woman in Black“ (GB 1989, Regie: Herbert Wise)Die limitierte Ausgabe der Edition ist bereits vergriffen. Unter networkonair.com erscheint demnächst eine reguläre Ausgabe.

Eigentlich sollte die Abwicklung des Nachlasses der alten Klientin Mrs Drablow Chefsache sein. Der Chef der Kanzlei jedoch weigert sich unter allen Anzeichen des Entsetzens, das alte Haus in der Provinz selbst aufzusuchen. So macht sich der junge Anwalt Arthur Kidd (Adrian Rawlins) auf den Weg, sehr ungern, er ist gerade zum zweiten Mal Vater geworden, der Weg nach Crythin Gifford ist weit, es ist ein abgelegener Ort direkt am Meer. Und bereits im Zug kommt der junge Anwalt mit einem älteren Herrn ins Gespräch, der auf die Nennung des Namens von Mrs Drablow einigermaßen befremdlich reagiert.

Der Trauergottesdienst findet ohne Trauernde statt. Nur aus den Augenwinkeln sieht Kidd eine Frau, die im Hintergrund steht. Bei der Beerdigung erscheint sie ein weiteres Mal. Sie trägt Schwarz, sie ist bleich, sie schweigt, Kidd blickt weg, da ist sie verschwunden. Kurz darauf ereignet sich auf dem Dorfplatz beinahe ein tödliches Unglück. Ein Kind wird um ein Haar von schweren Stämmen, die von einem Auto purzeln, erschlagen. Die Zuschauerin ahnt es schon hier, Kidd wird es später erfahren: Die Frau in Schwarz ist ein Geist. Wenn sie erscheint, stirbt ein Kind. Zur Vorgeschichte gehören ein paar Kindergräber auf dem örtlichen Friedhof.

„The Woman in Black“ ist ein Gruselfilm, der seinen Schrecken aus einer recht vollzähligen Versammlung der Topoi seines Genres bezieht, was schon damit beginnt, dass er in der Vergangenheit spielt. Das war schon bei der Vorlage so, dem gleichnamigen Roman von Susan Hill, der 1983 erschien und zum Bestseller wurde. Eine Theaterfassung läuft seit 1987 ununterbrochen in London im Kino, Weihnachten 1989 war die hier besprochene Verfilmung von Herbert Wise im britischen Privatsenderverbund ITV ein Riesenerfolg, wurde im Lauf der Jahre regelrecht zur Legende. Das bekam nicht zuletzt die erneute Verfilmung 2012 mit Daniel Radcliffe zu spüren, sie wurde vielfach unvorteilhaft mit dieser ersten Fernsehversion verglichen.

Sehr bewusst erbaut Susan Hill in ihrem Roman eine Replik klassischer Schauerromane. Die tote Frau, die keine Ruhe findet, vor allem: das Haus, in dem es schauerlich spukt. Dorthin nämlich, ins Eel Marsh House, muss Kidd zur Sichtung der Nachlassgeschäfte. Es liegt fast im Meer, manchmal ist der einzige Weg überschwemmt. Dichte Nebel ziehen gerne herüber. Im Kinderzimmer Gepolter, auf einem Sprachwalzen-Aufzeichnungsgerät mysteriöse Botschaften der Toten. Spider, der Hund, den Kidd als Gefährten ins Haus mitnimmt, rennt bald auf und davon.

Regisseur Herbert Wise (geboren als Herbert Weisz in Wien, im Kindertransport nach dem „Anschluss“ nach England entkommen) war ein Fernsehroutinier, kein großer Meister, auch wenn er sich hier ein bisschen à la Hitchcock im Schild eines Kohlenhändlers H. Wise selbst eine kleine Hommage zukommen lässt. Aber gerade dadurch, dass die Produktion auf alle Fisimatenten verzichtet, wird sie einer Vorlage gerecht, die ihrerseits nicht nach Originalität, sondern nach dem effektiven Einsatz des vertrauten Schauermotivarsenals strebt. Auch die Musik der damals noch jungen, nachmals hochdekorierten Rachel Portman passt dazu: mal unheimliche Spieluhr mit Drohostinato, auf dem Höhepunkt Bernard-Herrmann-geschultes hochgepitchtes Geigengekreische.

Ins wohlig Vertraute fährt so ein vertrauter Schrecken. Wie konsequent der Fernsehfilm das in seiner billig ausgeleuchteten Kostümatmosphäre durchzieht, verblüfft dann aber doch und macht „The Woman in Black“ zu einer außergewöhnlichen Produktion. Nach Jahrzehnten des wachsenden Legendenstatus ist nun endlich eine britische DVD-Edition veröffentlicht worden. Die limitierte Ausgabe der Edition ist jedoch, kaum veröffentlicht, schon vergriffen. Nachschub ist aber unterwegs: Unter networkonair.com wird bald eine reguläre Ausgabe greifbar sein. Ekkehard Knörer