Die steile These: Bergmannfleiß hilft nix
Die Wissensgesellschaft schätzt die alten Ruhrpot-Tugenden nur begrenzt - das wissen die Politiker in Nordrhein-Westfalen, auch wenn sie noch so sehr aufheulen. Was tun?
I mmer wenn in Nordrhein-Westfalen ein Betrieb dicht macht, rollen die Tränen. Betroffenen Mitarbeitern ist dieses Gefühl zuzugestehen, mitjammernden Landespolitikern nicht. Denn sie sind es, die den Strukturwandel des einstigen Industrialisierungsmotors nur behaupten, aber nicht forcieren. Mit Fleiß und Pünktlichkeit, mit Tugenden von Thyssen und Krupp gewinnt man im digitalen Kapitalismus keinen Blumentopf.
Vor dem Bochumer Nokia-Werk schimpften die Wissensarbeiter. Wir waren doch so fleißig und haben so viele Überstunden geschoben!, lautete ihre Klage. Aus deren Perspektive nachvollziehbar, als Argument für den Standort NRW untauglich. Trotzdem sekundieren die Politpopulisten. Landesvater Rüttgers (CDU) gaukelt den Leuten vor, es sei noch was zu retten. Exarbeitsminister Harald Schartau (SPD) stellte Nokia für eine "ganz rüde Form von Steinzeitkapitalismus" an den Pranger.
Das war eine ganz dumme Durchhalteparole. Die Politik belügt die armen Nordrhein-Westfalen. Sie weiß genau, welche Struktur am Weltmarkt Erfolg hat und welche nicht. Der Ruhrpott als Herzkammer des Aufschwungs - vorbei. Der Hüttenjungmann als Symbol der Industrialisierung - eine ausgestorbene Figur. Mit dem berühmten Mann am Besen, mit massenhaft ungelernten Kräften ließ sich Mitte des 19. und noch einmal im 20. Jahrhundert Profit machen. Heute ist das anders. Es zählt nicht, wie viel Blut und Schweiß in ein Produkt fließen, sondern ob Ideen und Teamarbeit darin stecken.
Man stelle sich vor, Apple-Ingenieure trügen Überstunden als Marketing-Slogan für digitales Endgerät vor! In NRW aber taugt solcherlei für die dusselige Verlängerung der Fleiß-und-Anstand-Saga.
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