Die stabilste Währung der Musik: Ein Lob auf den Loop
Als die Wiederholung zur Kunst wurde: Überlegungen zu Tilman Baumgärtels Buch „Schleifen“ und dem Loop als Geheimgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Man steigt nicht zweimal in den gleichen Loop. Oder doch? In einer lauen Sommernacht im Juli 2015 steht die Hamburgerin Helena Hauff hinter den Plattentellern auf einem Open-Air in Köln. Über ihr ist eine Discokugel, hinter ihr eine S-Bahn-Strecke. Und auf den Plattenspielern ein Loop, der niemals enden will. Ein Zwitschern, mal aggressiv angeraut, mal abgeschliffen und funky, aber niemals länger als 16 Noten. 1987 hat dieses Zwitschern ein Musikgenre ins Leben gerufen: Acid House, benannt nach Phutures Maxi „Acid Trax“ aus Chicago.
Es ist eine der ersten Platten, auf denen die TB-303, ein kleiner Loopsynthesizer, vor sich hin zwitschert. 1983 brachte sie die japanische Firma Roland auf den Markt, wo sie erst mal gewaltig floppte. Schon ein Jahr später wurde sie für 200 DM verramscht. Wer heute in den Acid-Loop steigen will, zahlt dafür Gebrauchtmarktpreise von 1.200 Euro aufwärts. Der Loop ist die stabilste Währung von Popmusik geworden und die Loopmaschinen sind sein Goldstandard.
Das war nicht immer so. Der Loop war lange Zeit das Verdrängte der Popmusik. Popfans und Popmusiker erleben sich in der Unterwerfung unter die standardisierten, musikalischen Codes wie Refrain, Drop, Gitarrensolo, als frei. Von allen diesen Elementen ist aber der Loop dasjenige, das die Standardisierung in der Popmusik, die Wiederholbarkeit mit technologischen Mitteln, betont. Idealerweise musste er deshalb lange unhörbar bleiben, um die Illusion nicht zu zerstören, dass jedes Erlebnis mit Popmusik einzigartig und individuell ist.
Einer der großen unbekannten Loops der Popmusik
Kein Wunder, dass einer der ersten Loops direkt in die Hüfte gehen sollte. Am 11. Februar 1955 stand Elvis in den Sun Studios in Memphis. Vor ihm ein Mikrophon, etwas weiter weg ein Mischpult und eine Tonbandmaschine. “Baby, baby, baby, b-b-b-b-b-b baby, baby, baby“, singt Elvis und auf der Aufnahme stottert er das B wie eine Maschinengewehrsalve. Sein Toningenieur Sam Phillips hatte die Aufnahme mit etwas Verzögerung auf einem zweiten Tonband aufgenommen und dann beides zusammengemischt – ein primitiver Delay-Effekt und laut dem Medienwissenschaftler Tilman Baumgärtel einer der großen unbekannten Loops der Popmusik.
Als „Geheimgeschichte des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet Baumgärtel den Loop in seinem Buch „Schleifen“. Ein Loop ist dabei nicht nur die Wiederholung von musikalischen Motiven, sondern benötigt die entsprechende Technologie. Und die war so teuer, dass die ersten Loops nur innerhalb der elektronischen Studios öffentlicher-rechtlicher Radiosender entstehen konnten.
Tilman Baumgärtel: „Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops“. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2015, 352 S., 24,90 Euro
RP Boo: „Fingers, Bank Pads & Shoe Prints“ (Planet Mu)
In Frankreich klebten Pierre Schaeffer und Pierre Henry Tonbandaufnahmen einer knarzenden Tür und eines tiefen Seufzers aneinander und entwarfen so Etüden als Geräuschmusik. In Köln nutzte Karlheinz Stockhausen die Bandmaschinen beim WDR, um seine Neue-Musik-Kompositionen um den Parameter der Klangfarbe zu erweitern. Die Loops von Henry, Schaeffer und Stockhausen dienten aber nicht der Wiederholung, sondern die Komponisten waren daran interessiert, ihren Stücken mithilfe neuer Technologien eine neue Komplexität hinzuzufügen.
Es sollte 30 Jahre dauern, bis die Loops sowohl in der E-Musik als auch im Pop sich vollkommen der Wiederholung hingeben durften. Giorgio Moroders „I Feel Love“ basiert auf einer Kickdrum und vier Tönen, die er mit dem Sequenzer seines Moog-Synthesizers loopte. Anschließend spielte er so lange mit Effekten im Stereofeld, dass sich die Töne rhythmisch veränderten und der linke Teil eines Clubs einen anderen Rhythmus hörte als der rechte. Selbst Moroders Sängerin Donna Summer fand es schwer, ihren Gesang im richtigen Rhythmus zu hauchen.
Loops aus dem Archiv
Mit „I Feel Love“ beendet Baumgärtel seine Exkursion in die Geschichte des Loops kurz vor dem historischen Moment, in dem er zur Technologie für die Massen werden konnte. 1982 führte Roland das MIDI-Protokoll ein, mit dem man mehrere elektronische Musikinstrumente gleichzeitig programmieren konnte, kurz danach wurden Sampler für kleine Studios und Privatpersonen bezahlbar. Und Produzenten begannen, sich für ihre Loops im Archiv zu bedienen.
Ende August kommt “Straight Outta Compton“ in die deutschen Kinos, die Geschichte über die Anfänge von HipHop-Multimillionär Dr. Dre. Wie viele HipHop-Karrieren fußt auch seine auf der unbezahlten Arbeit Dritter. Für „Straight Outta Compton“, das Titelstück des gleichnamigen Debütalbums seiner Gruppe NWA, samplete Dre das “Amen Break“ der Funk-Band The Winstons. Gregory C. Coleman, der Drummer des „Amen Breaks“, hat bis zu seinem Tod 2006 nie Tantiemen für die 1.500 Songs gesehen, auf denen er gesamplet wurde.
Der Loop wurde zum Interesse von Plattensammlern, ein Begehren, das sich auf die Popgeschichte anstatt auf ihre Gegenwart konzentrierte: Loops als selbst zitierendes Zeichensystem. Das ist nicht auf afroamerikanische Musikgeschichte und all die Konflikte um Aneignung und Repräsentation beschränkt, die damit einhergehen. Die britischen Chemical Brothers sind so große Fans der Tonbandmanipulationen im Song “Tomorrow Never Knows“ der Beatles, dass sie auf jedem ihrer Alben versuchen, den Sound des Stücks mit moderner Technik zu rekonstruieren.
Auch Helena Hauffs Acid-Platten loopen sich in die Vergangenheit zurück, aber anstatt verstaubter Tonträger benutzen sie Vintage-Equipment. Ihre Nostalgie ist restaurativ – gerade weil der Sound alter Synthesizer so leicht am Computer zu emulieren ist, versucht man die experimentierfreudige Verspieltheit früher Acid-Tracks mit Originalequipment wiederzuerlangen.
„Loops reflektieren die Möglichkeit der medialen Wiederholung mit eigenen Mitteln“ – anstatt Medieninhalte zu wiederholen, wiederholt sich heute die Benutzung von Medientechnologie. Nicht nur bei Sets voller 303-Loops, sondern auch bei Dutzenden von YouTube-Videos, in denen Amateure ihre auf Ebay gekauften Analogsynthesizer nutzen, um Daft Punks „Da Funk“ nachzuspielen.
Dabei muss der Loop nicht zwangsläufig in der Zeitschleife von Retro-Techno enden – zumindest dann, wenn er sich nicht permanent mit Technologie beschäftigt. “Bang’n on King Drive“ heißt ein Stück auf dem neuen Album des Chicagoer Footwork-Produzenten RP Boo. Der King Drive ist eine Straße an der Chicagoer South Side. Eine gesamplete und geloopte Stimme rattert die Kreuzungen herunter: 39th, 43rd, 47th. Jedes Jahr findet hier eine große Parade zu Ehren Martin Luther Kings statt, bei der RP Boo auflegt. Vor seinem Wagen tanzen die Footwork-Tänzer zu seinen Loops, in denen die Musikgeschichte von Chicago und Detroit widerhallt. Aber es sind keine Loops, die ein zurück zur Geschichte wollen, sondern Loops, die der Gegenwart nach vorne entkommen möchten.
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