: „Die sollen innerlich damit fertig werden“
Maria Möhlenkamp berät Schwangere bei der Caritas in Hildesheim. Als Katholikin will sie Abtreibungen verhindern. Gleichzeitig will sie den Frauen helfen, eine tragfähige Entscheidung zu treffen. Eine Gratwanderung ■ Von Constanze von Bullion
Sauer ist gar kein Ausdruck. Stocksauer ist sie. Auf ihren Freund, der mal wieder abgetaucht ist. Auf die Betreuerin vom Sozialamt, die zu viele Fragen stellt. Vor allem aber auf sich selbst, weil sie schon wieder schwanger ist. „Ich will das Kind nicht“, erklärt die junge Frau und schüttelt den Kopf – bevor sie ein winziges „eigentlich“ nachschiebt. Eigentlich also kein Kind, eigentlich nur den Schein und eigentlich abtreiben. Ein eigentlich zuviel für die Caritas-Beraterin. „Stellen Sie sich vor, ein Jahr ist vergangen. Sie haben das Kind nicht gekriegt. Wie sieht Ihr Leben aus?“ fragt Maria Möhlenkamp. Auf die Antwort muß die Beraterin eine kleine Ewigkeit warten. Die Frau auf der anderen Seite des Tisches läßt ihren Blick minutenlang zwischen den Papierstapeln im Regal und den Arche- Noah-Bildern an der Wand herumirren. Sie redet plötzlich nicht mehr. Weil sie heult.
Man könnte es Manipulation nennen. Oder Therapie. Was sich fast täglich in der katholischen Konfliktberatungsstelle für Schwangere in Hildesheim abspielt, heißt bei Maria Möhlenkamp „Entscheidungsfindung“ und „Trauerarbeit“. 1.343 Gespräche wurden im vergangenen Jahr hier geführt, 320 Frauen in finanziellen oder persönlichen Streßsituationen haben das Für und Wider einer Schwangerschaft durchgespielt. Und jedesmal ging es ans Eingemachte. „Zu uns kommt so gut wie niemand, für den eine Abtreibung kein Problem ist“, erzählt die 40jährige Leiterin der Beratungsstelle, die in karierten Hosen auf ihrem Stuhl herumrutscht und so gar keine fromme Betulichkeit ausstrahlt. „Es geht oft um Gewissensfragen und Schuld. Und oft enden diese Gespräche traurig.“
„Lebensschutz“ steht für katholische Schwangerenberaterinnen obenan. Und nicht nur bei ihnen. Seit der Paragraph 218 geändert wurde, müssen sich alle in Deutschland lebenden Frauen eine Fachberatung bescheinigen lassen, um straffrei abtreiben zu können. Diese Zwangsberatung, so das Strafgesetzbuch, hat „die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen“. Daß Frauen per Gespräch unter Druck gesetzt würden, kritisierten Feministinnen damals heftig – ohne Erfolg. Bis auf Bündnisgrüne und PDS stimmten 1995 alle Parteien im Bundestag der Kompromißformel zu.
Es gibt Wichtigeres als die Mannen des Papstes
Seither hat die Debatte sich verschärft, die moralischen Hürden vor dem Schwangerschaftsabbruch werden kontinuierlich nach oben geschraubt. Unter Beschuß stehen jetzt bereits diejenigen, die 1995 noch zur konservativen Fraktion gehörten: die Caritas und der Sozialdienst Katholischer Frauen. In einem Apostolischen Schreiben, über das seit Sonntag die deutschen Bischöfe beraten, mahnt Papst Johannes Paul II., es dürfe nicht der Eindruck entstehen, die katholische Kirche unterstütze Abtreibungen. Ob einzelne Bischöfe, wie bereits der Fuldaer Bischof Dyba, ihren Caritasbüros verbieten werden, weiterhin Beratungsscheine auszustellen, ist offen. Der Druck auf die Sozialarbeiterinnen aber hält an.
„Jedes Jahr neue Horrormeldungen und Verunsicherungen“, ärgert sich Maria Möhlenkamp. „Und das in einem Arbeitsbereich, wo wir soviel Energie investieren. Das ist belastend.“ Aber es gibt Wichtigeres, als sich über den Papst und seine Mannen aufzuregen. In den sparsam möblierten Räumen der Hildesheimer Caritas, wo nur eine zerlaufene Kerze und ein Kruzifix in der Ecke daran erinnern, daß hier im Namen des Herrn gewirkt wird, treffen sich junge Mütter zum „Frauencafé“. Fast alle, die hier Kekse knabbern und den tobenden Gören zuschauen, sind alleinerziehend. Etliche haben sich aus chaotischen Lebenskrisen hergeflüchtet, manche sind in die betreute Wohngruppe nebenan gezogen. Und jede einzelne erinnert sich noch an den eigenen Kampf pro oder contra Kind.
Für Kathrin Zöllner* fing er vor dem Bildschirm des Ultraschallgerätes an. Da sah die 30jährige Altenpflegerin ihr drittes Baby. Ein Wunschkind, wie sie sagt, dessen Vater sich allerdings kurz nach der Zeugung aus dem Familienleben verabschiedet hatte. Daß sie allein und ohne Geld dastand, war das eine. Was der Arzt entdeckte, das andere. Im Nacken des Embryos sah er ein Ödem. Schwere geistige Behinderung nicht ausgeschlossen, erklärte man ihr. Kathrin Zöllner schoß nur noch eines durch den Kopf: „Das schaffe ich nicht.“
Sie hat es dann doch überstanden: die Odyssee durch die Arztpraxen und die quälende Warterei auf die Resultate der Fruchtwasseruntersuchung. Irgendwann in dieser Zeit landete sie in Maria Möhlenkamps Sprechstunde. Zufällig. Mit der katholischen Kirche hatte sie bis dato nichts am Hut. Wohl aber mit „diesen ganzen Gedanken, die man sich macht, wenn man in so kurzer Zeit eine lebenswichtige Entscheidung treffen muß“. Daß Kathrin Zöllner das Kind schließlich nicht abtrieb, hatte mit den Ergebnissen der verschiedenen Test zu tun. Aber auch damit, daß sie „hier nicht unbedingt eine Entscheidung treffen mußte, sondern erst mal alles loswerden konnte. Da habe ich mich menschlich aufgehoben gefühlt.“
Ein Erfolg also für die Wächterinnen der katholischen Morallehre? Wieder ein Kindlein Gottes gerettet? Maria Möhlenkamp winkt ab. „Klar ist mein Ziel der Lebensschutz“, sagt die Caritas- Beraterin. „Aber wenn ich Druck auf die Frauen ausübe, erreiche ich das Gegenteil. Die sollen so durch die Entscheidung gehen, daß sie innerlich damit fertig werden. Auch mit einer Abtreibung.“ Oft sind es nur 45 Minuten, in denen hier Antworten auf höchst schmerzhafte Fragen gesucht werden. „Rauskriegen, ob die Frau sich auf den Abschied vom Kind einlassen kann“, so umschreibt Möhlenkamp die Kurztherapie, bei der nicht selten geheult wird, was das Zeug hält. Ein Kleinkind, in Lumpen und Leintücher gewickelt, sitzt auf dem Hochstuhl in der Küche: Dieses beunruhigende Szenario entwickelte eine unfreiwillig Schwangere, als sie bei der Hildesheimer Caritas gefragt wurde, wie sie sich die Zukunft mit einem weiteren Baby vorstelle. Und ohne? Die Frau sah sich am Küchenfenster, allein und todunglücklich. „Ich trauere oft mit den Frauen, wenn die in der Abschiedsphase sind. Das rührt mich sehr an“, erzählt Maria Möhlenkamp. „Ein Abbruch“, meint sie, „ist das Existentiellste, was man sich vorstellen kann.“
Wieder ein Kindlein Gottes gerettet?
Wird hier ein simpler medizinischer Eingriff dramatisiert, den Frauen in anderen Ländern ohne lange Debatten ausführen lassen? Wer durch gezielte Fragen aus einer befruchteten Eizelle ein Kind werden läßt und eine Entscheidung für einen Abbruch „Abschied“ nennt, rückt eine Abtreibung der „Kindstötung“ ein gutes Stück näher. Mit rechten Lebensschützern will die Hildesheimer Beraterin freilich nichts zu tun haben. Nicht sie sei es, die solche Gewissenskonflikte provoziere, versichert sie. „Das kommt von den Frauen selber. Die haben große Angst vor der Trauer. Manche befürchten, daß sie sich selbst einen Abbruch nie verzeihen. Oder daß ihnen Gott nicht verzeiht.“
Religiosität spielt nur bei einer Minderheit der Ratsuchenden eine Rolle. Für Maria Möhlenkamp dagegen ist Glauben der Dreh- und Angelpunkt ihrer Arbeit. Im erzkatholischen Emsland ist diese selbstbewußte Bauerntochter groß geworden. Zur Beichte geht sie da noch immer, „weil ich mit unserem Pastor plattdeutsch reden kann“. Seit elf Jahren berät die wortgewandte Friesin in Sachen Schwangerschaft. Zur Feministin hat sie das nicht gemacht. Aber sie will als Frau im Männerbetrieb der katholischen Kirche bestehen, will „mittendrin sein und Verantwortung übernehmen“. Ein „bißchen übermuttermäßig“ sei sie schon früher gewesen, meint die Sozialpädagogin, die jeden Tag übers Kinderkriegen redet, obwohl sie selbst keine hat, „leider“.
Kindersegen hin oder her, auch den katholischen Beraterinnen wird manchmal mulmig. „Ich denke mir oft: Wie kann die Frau in dieser Situation noch ein Baby kriegen“, verrät Möhlenkamp, die das Elend alleinstehender Mütter aus der Nähe kennt. Drogen, Gewalt oder Prostitution haben etliche erlebt, die samt Kindern im Wohnheim nebenan untergekrochen sind. Oder es kommen äußerst labile Schwangere in ihre Sprechstunde, die aber das Kind unbedingt kriegen wollen. Und dann beschleichen die Beraterin Zweifel, ob diese Frauen jemals selbständig genug sein werden, um für ihren Nachwuchs zu sorgen.
Schwanger und Single: Da droht Armut
Keiner von ihnen würde Maria Möhlenkamp sagen: „Laß es.“ Sehr wohl aber erklärt sie, was auf die Frauen zukommt. Wer Single ist und schwanger, muß Erziehungsurlaub nehmen und wird dann zur Sozialhilfeempfängerin. Wer ein Auto hat, muß es verkaufen. Wer Geld auf die Seite gelegt hat, muß es erst mal ausgeben. Und ist die Wohnung zu teuer für den Sozialhilfesatz, muß umgezogen werden. „Schwangerschaft heißt unter solchen Bedingungen Aufgabe des gesellschaftlichen Status“, weiß die Beraterin. „Die staatlichen Hilfen für Alleinerziehende reichen bei weitem nicht aus, das ist für viele ein Schock. Denen wird es nicht leichtgemacht, sich für ein Kind zu entscheiden.“
Kathrin Zöllner hat sich entschieden. Einen Stock tiefer, beim „Frauencafé“, packt die ehemalige Altenpflegerin ihre drei Töchter in dicke Winterjacken. Die Jüngste, um die es damals bei der Beratung ging, verkabelt sie mit einem kleinen blauen Monitor, bevor sie sie in den Kinderwagen legt. Das Baby sieht rund und rosig aus, ist aber ständig vom sogenannten „Krippentod“ bedroht. Aus dem Ödem am Nacken, das der Arzt damals per Ultraschall entdeckte, ist eine Zyste im Gehirn geworden. Atmung und Herz setzen immer wieder unvermittelt aus.
„Mit 18 Monaten hat sich das ausgewachsen“, hofft die Mutter, die jederzeit darauf gefaßt sein muß, daß der Monitor anfängt zu piepsen. Dann muß sie ihre Tochter zwicken, um sie durch Schreien ins Leben zurückzuholen. Leicht sei er nicht zu bewältigen, dieser Alltag mit der Angst, aber sie kann sich ihre Familie ohne die jüngste Tochter nicht mehr vorstellen. Und auf Maria Möhlenkamp, die Beraterin, läßt sie nichts kommen. „Ich war total überrascht, wie toll das hier gelaufen ist“, sagt die Dreißigjährige. „Ohne diese Gespräche wäre mir bestimmt viel entgangen.“
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