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■ Die rot-grüne Koalition in Düsseldorf zerstreitet sich um den eigenen Erfolg. Bittere Aussichten also auch für Bonn?Gezänk und Eitelkeiten

Stünde Pädagogen der Sinn nach neuem Stoff zum Thema Politikverdruß, böte sich in diesen Tagen ein Blick nach Düsseldorf an. Was tonangebende Akteure der rot-grünen Koalition dort Tag für Tag treiben, reicht aus, ganze Unterrichtsreihen zu bestreiten. Kleinkariert gebärdet sich eine Koalition, von der viele Menschen erhofften, durch sie ließe sich auch die Ablösung der Bonner Regierung befördern.

Doch davon kann heute keine Rede mehr sein, im Gegenteil! Gründlicher als durch die rot-grünen Politikdarsteller in Düsseldorf hat sich noch kein reformerisches Projekt diskreditiert. Ein Erfolg von jenen, denen die Profilierung und Positionierung der eigenen Partei – und nicht zuletzt der eigenen Person – alles, der Erfolg der Koalition dagegen nichts gilt. Gewiß, der stete öffentliche Streit zwischen Grünen und SPD war oft auch Abbild von objektiv schwierigen Entscheidungsprozessen im industriellen Kernland der Republik. Aber erst die bewußte Kriseninszenierung durch Strategen beider Seiten führte dazu, daß der Konflikt um die besten Lösungen fast regelmäßig mit Gezänk endete – zum Schaden beider.

Beispiel PVC: Da wies der grüne Bauminister Michael Vesper nach der Brandkatastrophe am Düsseldorfer Flughafen per Erlaß seine Bauämter an, bei Großbauten den Bauherren künftig die Verwendung halogenfreier Kabel und Baustoffe zu empfehlen. Doch eilig schlugen die sozialdemokratischen Profilierungsstrategen zu. „Verfrüht und sachlich nicht haltbar“, geißelte etwa Wirtschaftsminister Wolfgang Clement den Erlaß. Und Fraktionschef Klaus Matthiesen warf Vesper sogleich vor, „gegen die Interessen des Wirtschaftsstandortes NRW und gegen die Arbeitsplätze in der chemischen Industrie“ verstoßen zu haben. Natürlich blieb das PVC- Krisengeschrei in der überwiegend konservativen Landespresse nicht aus. Von der Sache her sind die Einwände der Obersozis unsinnig. Kabel, die im Brandfall kein Dioxin freisetzen, werden längst überall in Großbauten in der Bundesrepublik eingesetzt. Und natürlich fliegen auch bei der Düsseldorfer Flughafensanierung alle PVC- Kabel raus, die Ausschreibungen des Flughafens sehen das so vor.

Keinen Deut besser sieht es bei den Profilierungskünstlern in der grünen Landtagsfraktion aus. Beispiel Haushaltsentwurf 1997: Allen war schon vor der Sommerpause klar, daß angesichts von Steuerausfällen und zusätzlicher Mehrausgaben im Rahmen des Länderfinanzausgleichs der vereinbarte Schuldenabbau nicht möglich sein würde. Entsprechend fiel der Budgetentwurf der Regierung mit den Stimmen der bündnisgrünen Regierungsmitglieder Anfang Juli aus: Um 1,1 Mrd. sollen die Kredite auf 7,1 Mrd. Mark ansteigen. Anfang August griff dann plötzlich der finanzpolitische Sprecher der Grünenfraktion, Stefan Bajohr, den sozialdemokratischen Finanzminister Heinz Schleußer wegen dieser Neuverschuldung massiv an. Durch die „Abkehr des Finanzministers vom vereinbarten Konsolidierungskurs“ gebe er der „Umverteilungslawine“ zulasten der kleinen Leute „neuen Schwung“.

Wiederum also ward eine Koalitionskrise mit öffentlicher Begleitmusik geboren. Dabei wußte Bajohr schon im August, daß es hier nicht um eine politisch gewollte „Abkehr“ des Finanzministers von einer vereinbarten Politik ging, sondern daß allein die miesen Finanzdaten diesen Kurswechsel erzwangen. Deshalb hatte die grüne Fraktionsspitze schon vor der Kabinettsentscheidung im Juli ihren Ministern ihre grundsätzliche Zustimmung zur Ausweitung der Verschuldung signalisiert.

Die Beispiele für dieses koalitionäre Gezänk sind Legende. Sie häufen sich in jüngster Zeit, weil in beiden Parteien die Zahl derer zunimmt, die die Zusammenarbeit eher als „Strafe Gottes“ (Clement) denn als Chance zur Zukunftsgestaltung jenseits christliberaler Klientelpolitik begreifen. Seitens der SPD sorgen die Unsicherheiten über die Rau-Nachfolge und der Traum, bei Neuwahlen wie einst mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet zu werden, für zusätzliche Unsicherheiten.

Immer unkalkulierbarer reagieren aber auch die Landes-Grünen. Ihre jüngste Auseinandersetzung um die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat im Zusammenhang mit der Nachfolge von Parteisprecherin Krista Sager gibt ein Indiz dafür ab. Für eine Lockerung des Trennungsgebotes hatten Joschka Fischer und Michael Vesper kurz nach Sagers Rückzugsankündigung plädiert. Die nordrhein-westfälische Parteiprecherin Barbara Steffens reagierte darauf drastisch: „Einige Herren“, so hielt die bisher zu den gemäßigten Linken in NRW zählende Grüne den Realos vor, „scheinen sich für omnipotent zu halten.“ Und weiter: „Wer die Trennung von Amt und Mandat aufhebt, schwächt die Partei.“ Tatsächlich gilt das Trennungsdogma in NRW schon seit gut fünf Jahren nicht mehr. Abgeordnete dürfen seither auch dem Parteivorstand angehören.

Flügelschlagen hier, Träumereien von absoluten Mehrheiten dort: Es steht nicht gut um die Düsseldorfer Koalition. Zwar scheint noch nicht alles verloren, aber die Zeit läuft den Koalitionsbefürwortern in beiden Parteien davon. Vor allem deshalb, weil mit dem Braunkohletagebau Garzweiler II die Lösung des schwierigsten Konfliktes noch aussteht. Weil Wirtschaftsminister Clement sich darin gefällt, fast täglich die Notwendigkeit dieses Projektes zu beschwören, sehen sich die Grünen ebenso häufig bemüßigt, ihr prinzipielles Nein zu dem „Wahnsinnsvorhaben“ zu erneuern. Wenn die Verfassungsrichter in Münster mit ihrem für Mitte kommenden Jahres erwarteten Urteil den streitsüchtigen Partnern nicht aus dieser Klemme helfen, dürfte die Koalition noch vor der Bundestagswahl 1998 auseinanderbrechen.

Kompromisse wären sehr wohl denkbar. Nur in den Schützengräben der Düsseldorfer Prinzipienreiter mag man diese nicht erwägen. Statt sich auf einen sachlichen Streit um eine modernere Energiepolitik einzulassen, pflegen die Koalitionäre ihre Eitelkeiten. Bessere Wahlhelfer könnte sich Kanzler Kohl kaum wünschen. Schade nur, daß die Rechnung für diese politische Ignoranz andere begleichen müssen. Walter Jakobs

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