Die neue Literaturzeitschrift „Glitter“: Glitzern bis zum G-Punkt
Gibt es queere Literatur so selten, oder fehlt es ihr nur Sichtbarkeit? Die Zeitschrift „Glitter“ will mit Diversität Aufmerksamkeit generieren.
„Gibt es queere Literatur so selten, wie es scheint, oder fehlt es ihr nur an Sichtbarkeit?“, fragt Donat Blum im Editorial zur zweiten Ausgabe der Zeitschrift Glitter. Und vielleicht weiß er es besser, als die Frage vermuten ließe. Denn Donat Blum ist nicht bloß Teil des kleinen Glitter-Teams, das von Berlin und Zürich aus dieses Wagnis stemmt, queere Literaturen aus der Tarnkappe zu zerren; sondern Donat Blum, 32, hat auch im Herbst bei Ullstein sein Romandebüt „Opoe“ veröffentlicht.
Dass da eine queere Geschichte drinsteckt, hat der Klappentext verschwiegen. Und auch in Rezensionen, etwa in der FAZ, kam zum Ausdruck, dass man den autobiografisch gefärbten „Opoe“-Handlungsstrang mit der Suche des Enkels nach der Großmutter sehr gut fand (Wurzelsuche ist ein Trend im deutschsprachigen Gegenwartsroman, das kennt und schätzt man), aber Blums zweiter, damit verbundener Handlungsstrang überforderte die Rezensentin wohl, sodass sie ihn schließlich als entbehrlich abstempelte.
In diesem Strang geht es um die Unsicherheit des Erzählers in seiner polyamourösen Liebe mit mehreren Männern. Ein paradigmatischer Fall, dass hier das Bekannte vom Betrieb beklatscht wird und das Queere weggekehrt. Von einer Präsenz des Nicht-Heterosexuellen, wie etwa im Mainstream-Kino, 2017 besonders prominent mit „Moonlight“ oder 2018 mit „Call Me By Your Name“, kann in der Literatur nicht die Rede sein.
Für mehr Sichtbarkeit
Deshalb also Glitter: für mehr Sichtbarkeit. Logo, dass Glitzer Aufmerksamkeit erregt. Man darf bei dem Titel der Zeitschrift sicher an die glitzercampige Arie „Glitter and Be Gay“ denken, aus Leonard Bernsteins Operettenmusical „Candide“, das, wie auch die literarische Vorlage, Voltaires gleichnamiger Episodenroman, den Philosophen Leibniz, aber auch all jene System-Opportunist*innen tragikomisch kontert, die meinen, dass die Welt, in der wir leben, doch schon bestens eingerichtet sei.
Und vielleicht darf man, weil Glitter ja eine literarische Zeitschrift ist, die auch mit Sprache und ihrem Klang spielt, sogar an Klitoris denken. Glitter zielt jedenfalls, auch mit vielen nicht-männlichen Autor*innen am Start, auf diverse G-Punkte. „Diversität bedeutet im Literarischen auch: die Uneinigkeit von Erzählungen“, heißt es ebenfalls im Editorial. Das bestätigt sich bei der Lektüre: Ergebnis des Kuratierens ist bei Glitter ein Kaleidoskop, ambitioniert. Formal haben wir es mit Kurzgeschichten, Langgedichten, Miniaturen, Romanauszug und Essay zu tun.
In der zweiten Episode gibt es viele Newcomer*innen zu entdecken: Patricia Hempel erzählt von Kinderspielen, die nicht Kinderspiel sind, sondern eher brutales Training für die heteronormative Familie. Und sie erzählt von der Sehnsucht eines Mädchens, zumindest den Schatten eines anderen Mädchens zu berühren.
Dora Heinrichs umstrittenes Geschlecht
Ronya Othmann erzählt von einem Besuch bei der kurdischen Familie in der Türkei und wie da eine verlorene Liebe namens Ronahî zu verschweigen ist. Zoltán Lesi wiederum beschäftigt sich in seinen Prosagedichten mit der intersexuellen Hochspringer*in Dora Heinrich Ratjen, die*der fürs „Dritte Reich“ 1936 bei den Olympischen Spielen startete und obendrein einen Frauenweltrekord hinlegte, der nachträglich annulliert wurde wegen des umstrittenen Geschlechts.
Im Essay „Müdigkeit as in Müdigkeit“ schreibt Meloe Gennai davon, wie queere People of Color sexualisiert, objektiviert und benutzt werden – und wie dagegen oft nur eine Strategie der Prokrastination als einzig gangbarer Ausweg aufscheint.
All diese Texte (es sind noch ein Dutzend mehr) funkeln im Umfeld von Glitter gerade deshalb auf, weil Glitter im besten Sinne nicht aus einem Guss ist, sondern als Konglomerat gerade so zusammengefügt ist, dass in keinem der Texte das letzte Wort schon gesprochen wäre. Sie sind Impulse, die weiter zum Denken und Imaginieren anregen. Und Glitters Untertitel „Die Gala der Literaturzeitschriften“ macht augenzwinkernd auch klar: Das Ganze soll Freude bereiten. Auch weil man manche Dinge gerade ernst nimmt, wenn man sie nicht übertrieben ernst nimmt. Dazu gehören dann auch die Comic-Pinguine mit Wollschals auf Seite 5.