Die längste Regierungsbildung der Welt: Di Rupo wird Belgiens Premier
Eineinhalb Jahre nach der Parlamentswahl hat Belgien eine neue Regierung. Die Sechs-Parteien-Koalition von Premierminister Elio di Rupo steht vor einem riesigen Schuldenberg.
BRÜSSEL dpa | Genau 535 Tage nach der Parlamentswahl in Belgien haben sich die sozialistischen, christdemokratischen und liberalen Parteien der Landesteile Flandern und Wallonien im Grundsatz auf eine Regierung geeinigt. Das berichtete die Nachrichtenagentur Belga am späten Mittwochabend.
Neuer Premierminister wird der Sozialdemokrat Elio di Rupo (60). Er ist seit 1974 der erste Politiker aus dem französisch sprechenden Süden Belgiens an der Spitze der Regierung. Die Besetzung des Kabinetts ist noch offen. Es soll höchstens 15 Minister geben.
Kein Land in der Welt brauchte bisher länger für eine Regierungsbildung als das Königreich im Herzen Europas mit gut zehn Millionen Bürgern. Laut Belga wird ein Kompromisstext der Parteien mit 185 Seiten an diesem Donnerstag noch einmal gemeinsam überprüft. Am Wochenende sollen die Parteien der Koalition zustimmen. Zum Beginn der kommenden Woche könnte die neue Regierung vereidigt werden - dann ist auch die Vertrauensabstimmung im Parlament geplant.
Der Streit zwischen den frankophonen Wallonen des Südens und den niederländisch sprechenden Flamen im Norden Belgiens hatte nach den Wahlen vom Juni 2010 eine Regierungsbildung lange blockiert. Dabei ging es vor allem um eine Staatsreform, mit der der Status von flämischen Gemeinden im Umland der Hauptstadt Brüssel mit einem hohen Anteil von frankophonen Belgiern geregelt werden musste. Die Staatsreform gibt auch den Regionen mehr Macht und Geld.
Chaotischen Verhandlungen
Anschließend konnten sich die Parteien nicht darauf einigen, wie rund 11,3 Milliarden Euro im Staatshaushalt 2012 eingespart werden sollten. Erst nachdem die Ratingagentur Standard & Poor's die Kreditwürdigkeit Belgiens um eine Note von "AA+" auf "AA" senkte, kam ein Kompromiss zum Budget des kommenden Jahres zustande.
Das Land wird seit gut eineinhalb Jahren von einer geschäftsführenden Regierung unter dem christdemokratischen Premier Yves Leterme verwaltet. Die Zeit seit der Parlamentswahl im Juni 2010 war von teilweise chaotischen Verhandlungen zwischen verschiedenen Parteien geprägt. Der flämische Nationalistenführer Bart De Wever, der Wahlsieger von 2010, verwarf im Sommer ein ausführliches Kompromisspapier Di Rupos komplett und vollzog damit einen Bruch zu den anderen Parteien.
De Wever, Chef der Neuflämischen Allianz dürfte laut politischen Beobachtern der neuen Koalition künftig das Leben schwermachen. Die Allianz tritt offen für das Ende des belgischen Bundesstaates ein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg und Frieden in der Ukraine
Was vom Pazifismus übrig bleibt
Sozialabgaben auf Kapitalerträge
Keine Zahlen sind auch keine Lösung
Trumps Amtseinführung
Der Geruch von Machtergreifung
Wendung im Fall Gelbhaar/Grüne
Multiples Organversagen
Belästigungsvorwürfe und falsche Angaben
Grüne richten Gelbhaar-Kommission ein
Verteidigungsausgaben im Wahlkampf
Parteien im Überbietungswettkampf