Die eine Frage: Soll ich Trump den Mittelfinger zeigen?
Unterwegs im Wahlkampf-Amerika
Peter Unfried ist taz-Chefreporter
Ich landete in Chicago, aber Trump war in Cleveland. Er gestikulierte auf einem Fernsehbildschirm am Flughafen O’Hare. Wir fuhren sofort nach Downtown Chicago zum Trump Tower und stellten uns auf der anderen Straßenseite auf. Meine Reisegruppe besteht aus drei sozialökologischen Bürgern (im letzten Jahrhundert hätte man gesagt: linksliberal) und einem Teenager im apathischen Widerstand gegen das Familienestablishment. Zwei der drei Bürger holten ihre Stinkefinger raus, zeigten sie dem Trump Tower, fotografierten sich so und stellten es in die dafür vorgesehenen Sozialnetze. Gab sofort jede Menge Likes und positives Feedback. Tenor: Richtig so!
Ich selbst lehnte es ab, dem Trump Tower den Stinkefinger zu zeigen, weil ich es für eine Geste mit dem ausschließlichen Nutzwert halte, sich selbst besser zu fühlen. Das Problem ist nur: Auch das Ablehnen des Zeigens von Stinkefingern vor dem Trump Tower hat keinerlei Einfluss auf den Lauf der Welt und die US-amerikanische Präsidentenwahl. Das läuft auch nur darauf raus, dass ich mich gegenüber den Stinkefingerzeigenden besser fühle.
Jetzt fahre ich seit Tagen an Maisfeldern und Weiden vorbei Richtung Westküste und lese dabei die Wahlanalysen der New York Times. Warum der Nominierte der Republikanischen Partei ein „lächerlicher und skandalöser Kandidat“ sei, wie Paul Krugman schreibt. Wie rassistisch, verlogen und strunzdumm seine Wahlkampagne ist und was für eine Gefahr für die komplette Weltgemeinschaft. Die Frage ist: Was bringt das, um Trumps Wahl zu verhindern?
Bei den Leuten, die auf Trump hoffen und die wir für rechte, dumme Arschlöcher halten, kommt das alles wie ein einziger, überdimensionaler Stinkefinger an von Leuten, die sie für linksliberale, klugscheißende Arschlöcher halten. Sie fühlen sich komplett bestätigt, Trump zu wählen, damit er eine Mauer hochzieht, hinter der das liberale Arschlochgeschwafel verschwindet und überhaupt alles, was ihnen zu viel wird an einer aufgeklärten und individualisierten spätkapitalistischen Gesellschaft, an der sie zu wenig Teilhabe zu haben glauben.
Woraus ich folgere: 1. Selbstbestätigungswettbewerbe der politischen und moralischen Checker bringen nichts. Es geht darum, die Zweifelnden zu erreichen, um eine Mehrheit der Mitte gegen Populisten zu bilden.
2. Wer Trump und der AfD auch noch hilft, Teile der Mitte nach rechts zu schieben, verliert alles.
3. Wer Trump verhindern will, der soll bloß nicht kommen und rumheulen, dass Hillary ja „eigentlich“ auch nicht gehe und Bernie Sanders der Richtige wäre. Sanders ist Geschichte. Jetzt heißt es: Entweder – oder. Und die politischen Unterschiede zwischen Hillary (wer Clinton sagt, meint Bill) und Trump sind größer als bei fast allen anderen Wahlen, die man so hat.
4. Ohne Zweifel hatte und hat Hillary beruflich große Nachteile, weil sie eine Frau ist. Aber sie wäre als Präsidentin kein Fortschritt, nur weil sie eine Frau ist. Klimawandel, Völkerwanderungen, Ende des Industriezeitalters, wie wir es kannten, transnationaler Terror. Dies ist nicht mehr die Zeit, um sich mit symbolischen, identitätspolitischen Fortschritten abzulenken. Es ist für das Managen der globalen Krisen komplett irrelevant, dass Hillary eine Frau ist. Relevant ist, ob Trumps Politik gewählt wird oder ihre.
Und zuletzt: Es stimmt, dass Hillary zu lange als Realpolitikerin in der Öffentlichkeit ist, um uns (wie New Kid Obama 2008) davon träumen zu lassen, dass wir bessere Menschen und eine bessere Gemeinschaft sein könnten. Sie erinnert uns nicht daran, wie wir sein möchten, sondern wie wir sind. Aber das ist nicht allein ihr Problem.
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