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■ Die bündnisgrüne Partei hat sich stets als Opposition verstanden. Jetzt, als Regierungspartei, muß sie ihre Rolle neu definierenDie Macht und ihr Preis

Seit einer Woche ist die rot- grüne Regierung vereidigt, Außenminister Joschka Fischer hat seine erste Blitzreise hinter sich, die Personalschlachten sind geschlagen, die Jobs verteilt – langsam kehrt Alltag ein. Während die einen nun im Licht der Scheinwerfer von RTL und ZDF täglich dicke Bretter bohren, kommt auf die im Schatten eine ganz neue Erfahrung zu: Sie haben nichts zu sagen und werden trotzdem schuld sein. Der bündnisgrünen Partei stehen harte Zeiten bevor.

Zunächst wird man davon nicht viel bemerken. Denn der Erfolg färbt auf alle ab. Wenn „unser Joschka“ durch die Welt düst, ist auch das einfache Parteimitglied ein bißchen mit dabei. Und wenn grüne Lokalpolitiker plötzlich nicht mehr als Schmuddelkinder, sondern als Teil des Machtkartells, als Leute, die eventuell einen heißen Draht nach ganz oben haben, gelten, verschafft das jene gesellschaftliche Anerkennung, die man sich lange gewünscht hatte. Spätestens wenn sich der erste hartnäckige Spötter vertraulich nach dem Programm des neuen Umweltministers erkundigt, weiß auch der grüne Basisaktivist – er ist in einer neuen Zeit angekommen.

Freilich weiß er noch nicht, was das bedeutet. Will sagen: Er weiß es so, wie man weiß, daß sich sein Leben verändert, wenn man Vater wird, aber noch nicht Vater ist.

Der größte Teil der Parteimitglieder arbeitet in Ortsvereinen mit, weil er ein konkretes Anliegen hat. Lange Zeit waren die Grenzen zwischen Bürgerinitiativen und Parteigruppen fließend. Vor allem in kleineren Städten kommen Anti- AKW-Initiativen, Friedensgruppen und Bündnisgrüne aus demselben Millieu. Neben der angenehmen Anerkennung von ungewohnter Seite wird die grüne Basis nun auch mit den Erwartungen aus der eigenen Ecke konfrontiert – mit den Erwartungen jener Freunde und alten Bekannten aus der Ini, mit denen man seit Jahren für eine bessere Welt gekämpft hat.

Während ein CDU-Parteimitglied in aller Regel damit zufrieden ist, wenn seine Truppe regiert, ein FDPler seinen Laden ganz ungeniert als Karriereschmiede betrachtet und ein SPD-Mann nur dann wirklich in Schwierigkeiten kommt, wenn er Beschlüsse gegen die eigene Gewerkschaft verteidigen soll, sind grüne Parteimitglieder plötzlich für alles Elend der Welt verantwortlich. Schließlich „seid ihr ja jetzt an der Regierung“. Ein echter Grüner wird diesen Vorwurf auch nicht kategorisch zurückweisen, sondern im Grunde dem Menschen mit dem anklagend erhobenen Zeigefinger recht geben.

Ein Flüchtling, der sich in der Abschiebehaft erhängt, eine BGS- Truppe, die einen Demonstrationszug zusammenprügelt, das sind jetzt seine Toten und seine verletzten Demonstranten. Selbst für Basisgrüne, die schon Erfahrungen mit rot-grünen Landesregierungen haben, ändert sich die Lage von Grund auf: Wenn jetzt der nächste Castor rollt, gibt es keine Angela Merkel mehr, die schuld ist.

Wenn die erste Begeisterung vorbei ist, wird sich zeigen, daß die Grünen eine Partei mit großen Ungleichzeitigkeiten sind. Das Spitzenpersonal besteht längst aus Profis. Da die Rotation – zu Recht – gekippt wurde, wird sich nun erstmals die Kehrseite der Professionalisierung in ganzer Wucht zeigen: die Kluft zwischen grünen BerufspolitikerInnen und den Amateuren. Die Profis wissen längst, daß Politik immer nur eine Annährung an das Mögliche ist, die Amateure wollen immer noch alles. Erschwerend kommt hinzu, daß die Amateure nicht dieselben Kompensationsmöglichkeiten haben wie die Leute an der Spitze. Im Zweifel müssen sie selbst Entscheidungen mittragen, die sie falsch finden und deren Zustandekommen sie sich nicht erklären können. Entscheidungen, die mit den Programmen und Statuten der Partei nichts zu tun haben. Es ist klar, daß hier auf Dauer der größte Sprengsatz des grünen Regierungsprojekts liegt.

Die bündnisgrüne Partei hat in Bonn neben der Zustimmung zum Koalitionsvertrag auch einer Strukturreform der Partei zugestimmt. Die Reform, so der linke Parteisprecher Jürgen Trittin, sei notwendig, um die Grünen erst einmal zu einer tatsächlichen Bundespartei zu machen. Bislang läge die eigentliche Macht ja bei den Landesverbänden. Es ist verständlich, daß Trittin nach diesem Wahlkampf, in dem Anspruch und Möglichkeit für die Bundesgeschäftsstelle der Grünen weit auseinanderklafften, endlich die Machtverhältnisse zugunsten der Bundesebene verändern will. Verständlich ist auch, daß die Profis sich Entscheidungsabläufe wünschen, die das Handeln der Regierungspartei von mehr oder weniger spontanen Unmutsäußerungen der Basis möglichst unabhängig machen – aber ist das auf Dauer auch klug?

Grüne Spitzenpolitiker müssen mehr als alle anderen Parteienvertreter ihre Entscheidungen auch in die Partei hinein transparent machen. Da sie im Streß sind, müssen sie dazu gezwungen werden. Passiert das nicht, werden sie irgendwann, wenn es zu zu spät ist, feststellen, daß die Kluft zu den Amateuren unüberwindbar geworden ist. Das ist dann möglicherweise das Ende der Grünen als Regierungspartei. Das zu verhindern ist vor allem die Aufgabe der Parteilinken. Die SprecherInnen der Linken, die Abgeordneten aus dem Babelsberger Kreis, sind es, die in diesem Prozeß eine Schlüsselrolle übernehmen müssen. Den Linken, vor allem denen, die nun nichts geworden sind, obliegt es, realistische Erwartungen zu formulieren. Und zwar in beide Richtungen, sowohl gegenüber der Basis wie auch gegenüber der eigenen Regierung.

Die Parteilinke hat bereits einmal, Mitte der 80er Jahre, einen entscheidenden Fehler gemacht. Als längst absehbar war, daß die Grünen eine Reform- und keine Anti-Parteien-Partei mehr sind, haben Ebermann/Trampert & Co gemeinsam mit Jutta Ditfurth und anderen Fundis sich darauf beschränkt, zu allem nein zu sagen. Damit hat die Linke sich selbst aus der Debatte, was möglich ist und was nicht, herauskatapultiert. Das hat den Grünen damals nicht gutgetan, dieses Mal wäre es fatal. Es reicht aber nicht, realistische Erwartungen zu formulieren, man muß sie dann auch vertreten. Der Bonner Parteitag war da ein schlechter Start. Statt der Basis gleich klar zu machen, daß die Forderung nach Trennung von Amt und Mandat gegen die grünen Bundesminister nicht durchsetzbar ist, hat die Linke erst mit der Basis „Protest“ geschrien – und dann einen Kompromiß ausgehandelt, der Selbstbetrug ist. Kein guter Start in die neue Rolle. Jürgen Gottschlich

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