Die Wochenvorschau für Berlin: Berlin ist bereit für die Wende
Bestimmt ganz hübsch: Mit fetten Installationen und Party will der Senat den schönen Geist von '89 heraufbeschwören. Eine kritische Wochenvorschau.
Vielleicht haben Sie ja bereits vor, eines der mehr als 200 Events zu besuchen, die die Stadt in dieser Woche im Gedenken an den Mauerfall vor 30 Jahren am 9. November ausspuckt – immerhin für umme. Ich persönlich, so viel gleich vorweg, hab es ja weder mit Einheitspartys noch mit wiederkehrenden Auslassungen darüber, ob die Wende nun eine richtige Wende war oder die Wiedervereinigung eigentlich eine Übernahme; ob die Revolution den Namen verdient oder ob es diese begrifflichen und inhaltlichen Unsauberkeiten sind, die mehr ostdeutsch als westdeutsch sozialisierte Menschen in die schmuddeligen Arme der AfD treibt (an diese Erklärung glaube ich eh nicht).
Okay, manches, was eine Eventagentur im Auftrag des Senats herbeiorganiserte, wird bestimmt ganz hübsch aussehen: Die 120 Meter lange, handgewebte Zettel-Kunst-Installation „Visions in Motion“ auf der Straße des 17. Juni zum Beispiel, die am Montag eröffnet wird. Und die historischen Videoprojektionen, die jeden Abend über die Gethsemanekirche, den Alexanderplatz, das Europa-Center und die East Side Gallery flackern. Aber Solarpanels auf allen Schuldächern wären mir lieber als noch mehr Lichtsmog über Berlin. Und apropos Schule: Investitionen in eine konstante Qualität des Geschichtsunterrichts zum Thema DDR im Zusammenhang mit zeitgeschichtlicher Aufarbeitung sind gegebenenfalls lohnender als Einzelaktionen zum Jubiläum.
Aber man kann doch auch mal die Ereignisse staatlich schön feiern, werden Sie jetzt vielleicht sagen. Und zum Beispiel am Mittwoch ab 20.15 Uhr zum Fehlfarben-Konzert pilgern, und am Donnerstag ab 19.30 Uhr zum Pankow-Konzert auf dem Alex. Und dann gleich weiter zur ultimativen Multimedia-Sause am Samstag ab 17.30 Uhr mit Rap, Techno, Feuerwerk und Barenboim vor dem Brandenburger Tor.
Aber ehrlich gesagt sehe ich die Verwendung von Steuergeldern – 10 Millionen Euro soll der Spaß insgesamt kosten – nur mäßig gerechtfertigt für den von zweifelhaftem Erfolg gekrönten Versuch, jahrzehntealte Emotionen zu reproduzieren.
Der 9. November 1989 sei der glücklichste Tag der deutschen Hauptstadt, sagt erwartungsgemäß der Veranstalter, die Kulturprojekte Berlin GmbH. Mir ist das eindeutig zu viel Verklärung, zu viel Ablenkung von dem, was jetzt dran ist. In Anlehnung an eine Berliner Sängerin: Der beste Augenblick in deinem Leben / ist nicht gestern, sondern grade eben.
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