Die Wahrheit: Keine sicken Sikhwitze
Eine Fahrradfahrt auf den Spuren von Maos Langem Marsch durch halb China kann lustig und schön sein, auch wenn mitunter die Angst mit fährt.
W er kennt das nicht: Man schreibt ein Buch, es wird gedruckt, man liest alles noch mal durch und stellt überrascht fest: Verdammt, die interessantesten Sachen stehen ja gar nicht drin! So fühlte ich mich gerade bei „Der Lange Fahrradmarsch“. Darin geht es um eine etwa 7.000 Kilometer lange Radtour durch China. Die Gründe für das Fehlen der interessanten Sachen sind vielfältig. Ach, Unsinn. Es gibt nur einen Grund und der heißt: Angst!
Aus Angst ist zum Beispiel die Geschichte mit dem alten Sikh aus dem Buch geflogen. Der drängelte sich gleich zu Abenteuerbeginn am Einreiseschalter nach China vor. Im Klageton murmelte er allen zu: „Sorry. I’m tired.“ In einer ersten Manuskriptfassung fragte ich mich, ob es nicht lustiger gewesen wäre, hätte er gesagt: „Sorry. I’m sick.“ Und wir dann so: „Das sieht man!“
Ich habe dann aber das Internet befragt und festgestellt, dass das vor lustigen Sikh/sick-Wortspielen nur so wimmelt. Krankestes Beispiel: „Why was the Sikh man in the hospital? – He wasn’t just Sikh, he was turbanally ill.“ Da habe ich meinen Witz sofort rausgeschmissen, aus Furcht, dass sich diese Religionsgemeinschaft an mir rächt. Immerhin gibt es 25 bis 30 Millionen Sikhs weltweit, und ich kann mir vorstellen, dass ihnen jede sick/Sikh-Variation fürchterlich auf den Zeiger geht.
Geplant war zunächst auch, eine ultimative Liste aller chinesischen WLAN-Passwörter zu veröffentlichen. Hier ist sie: 88888888,12345678, 66668888, 88886666, 88889999. Mit diesen Zahlenkombinationen kommt man in 99,99 Prozent aller chinesischen WLAN-Netze. Ich schwöre es! Auch jene Liste musste wieder raus. Was ist, so fragte ich mich, wenn diese Zahlen Staatsgeheimnis sind? Dann werde ich beim nächsten Einreiseversuch nach China gleich an der Grenze verhaftet. Hier und heute kann ich die Zahlen ja ruhig veröffentlichen, denn alles bleibt unter uns, oder? Oder?
Deshalb sind mein Ko-Autor Volker Häring und ich auf Nummer sicher gegangen. Wir haben nur langweiliges Zeugs ins Buch hineingeschrieben. Wir erzählen etwa, wie wir von der Polizei aus dem Süden der Provinz Hunan rausgeschmissen wurden. Hier stehen die chinesischen Atomraketen.
Man kann auch nachlesen, wie wir beide fast ins Gras gebissen hätten: Ich auf einem schneebedeckten Pass in über 4.000 Meter Höhe, Volker unter einem Radlader, der ihn beinahe überrollt hätte. Wir plauderten auch mit einem Oberst der Volksbefreiungsarmee über die Geschichte des Langen Marsches. Das gelang vor uns noch keinem Westler. Und trafen dann genau denselben Oberst 2.000 Kilometer später zufällig wieder. Standard-Reisebuchkram also.
Ich verstehe gut, dass Sie so etwas nicht lesen wollen. Deshalb setzen wir uns gleich morgen hin und schreiben ein neues Buch: mit Sikh-Witzen und, ja, sämtlichen chinesischen WLAN-Passwörtern. Am Ende sterben wir dann nicht nur fast, sondern wirklich. Versprochen!
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