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Die WahrheitÜber sieben Bach-Blüten musst du gehen

Endlich darf das alternative Handwerk bei maroder Infrastruktur ran. Ein beispielhafter Wahrheit-Baustellenbesuch in Berlin.

Meisterlich: Berlin saniert sich allein durch Luft und Liebe Foto: Fritz Engel / Zenit

„Lassen Se sich nich stören“, sagt Bauleiter Michael Trepkewitz bissig zu der weiß gekleideten Frau vor ihm, die nachdenklich brummend ihr Ohr an den Straßenbelag der Berliner Oberbaumbrücke drückt. „Wir wollen nur mal kieken, wat Se hier so machen.“

Dabei ist eigentlich klar, was die Frau da so treibt: Sie hört zu. Nimmt sich Zeit, um zu erfahren, was mit der Brücke nicht stimmt. Wird im Anschluss versuchen, eine bombensichere Therapie für Letztere zu finden. „Na, kommen Se“, zieht uns der bullige Mitfünfziger Trepkewitz da auch schon weiter zu seinem ebenfalls in die Jahre gekommenen Mercedes-Benz-Transporter, „viel mehr passiert hier eh nich.“ Schließlich sei die Oberbaumbrücke erst kürzlich von der Stadt als „alternatives Sanierungsobjekt“ freigegeben worden. Aktuell laufe noch die Anamnese.

Andere Baustellen sind da schon weiter, zum Beispiel die Instandsetzung einer namenlosen Eisenbahnbrücke an der viel befahrenen Kantstraße. Das sei eben die neue Devise der Pleitestadt Berlin: Weil es mehr marode Brücken als kompetente Baufirmen gibt, dürfen jetzt auch mal Menschen mit alternativen Sanierungsmethoden ihr Glück versuchen.

„Halte ick aber für ausjemachten Quatsch“, erklärt der für die Projekte verantwort­liche Trepkewitz wenig di­plomatisch mit Blick auf die ­offiziell noch gesperrte Brücke vor ihm. „Wobei jerade dieses Projekt hier tatsächlich erste Erfolge zeigt“, räumt er vorsichtig und einen Fuß vor den an­deren setzend ein. Die verantwortliche Homöopathin sei nach dem ­homöopathischen Kernprinzip „­Similia similibus curentur“ verfahren, also Heilung durch Mittel, die in hoher Konzentration dieselben Symptome wie die Krankheit hervorrufen.

Großräumig verteilte Zuckermasse

Oder wie Trepkewitz es ausdrückt: „Die hat was von ein 40-Tonner abjeschabt und in massig Zucker aufgelöst. Dit hat se dann auf die Brücke jekippt.“ Die großräumig verteilte Zuckermasse sei in die viele Ritzen gesickert, ausgehärtet und habe die Brücke nach ersten Tests tatsächlich stabilisiert, gibt der erfahrene Projektleiter, sich etwas ratlos am Dreitagebart kratzend, zu. „Es hat aber auch noch nich jeregnet.“

Ob die Homöopathin den nagenden Betonkrebs, wie bestimmte schwere Schäden an Betonkonstruktionen genannt werden, wirklich heilen kann, bezweifelt er. Dafür verzichtete sie aber fast vollständig auf invasive Baustoffe. „Und die erste Doppelblindstudie lief ooch schon erfolgreich“, findet Trepkewitz seinen Biss wieder: Er meint die Senatsbaudirektorin Berlins, die sich vor einigen Tagen zitternd und mit Händen vor den Augen als Erste über die sanierte Brücke trauen musste.

Dass es auch bei minimalinvasiven Sanierungsmethoden nicht immer sanft zugehen muss, beweist noch eine weitere Instandsetzung, die auf dem Plan steht: Die Jungfernbrücke von 1798, älteste erhaltene Brücke Berlins, wird gerade einer Bach-Blüten-Therapie unterzogen. Die Heilung durch Harmonisierung der geistig-seelischen Ebene mittels Duft ist in vollem Gange. Oder besser Marsch, denn über die Brücke defiliert gerade eine Kompanie Männer in altpreußischen Füsilieruniformen.

Es riecht nach Leder und Soldatenschweiß, und genau das soll es auch: „Die Brücke hat schließlich preußischen Charakter, die braucht das hin und wieder“, haucht uns die zuständige Kur- und Baupfuscherin selbstsicher ins Ohr. Nur den für eine Armee sonst üblichen Gestank von Fäkalien erzeugten die Soldaten nicht selbst, das erledige die Stadt für sie.

Doch Berlin wäre nicht Berlin, wenn nicht auch der Stadtbevölkerung reichlich Brücken zur Beteiligung gebaut werden würden, seufzt Projektleiter Trepkewitz in der Nachbesprechung bei Börek und Kippe. Denn gänzlich alle Söhne und Töchter der Stadt, selbst die ganz und gar ohne Qualifikation, könnten mittlerweile an Brückensanierungen im Land Berlin teilnehmen.

Die Mühlen­dammbrücke in Mitte wird durch Berlins ureigenste Energie geheilt: den Techno

Bisher allerdings mit sehr gemischten Ergebnissen: Eine fehlgeschlagene Geistheilung hätte beinahe das Glaubensgerüst der Heilenden zum Einsturz gebracht, eine Welle Reiki-Energie weltweit verstreuter Expats sei irgendwo hinter Zwickau verebbt, und auch ein Projekt, das altes Spritzbesteck zur Brückenakupunktur nahe des Berliner Zoologischen Garten nutzen wollte, sei leider fehlgeschlagen. Die Spritzen dienen heute immerhin der Taubenabwehr.

Kurz vor Feierabend will uns der eigentlich schon geschaffte Trepkewitz dann plötzlich doch noch ein weiteres Projekt zeigen. Es liege ihm besonders am Herzen. „Dit hier“, erklärt er uns nach kurzer Fahrt mit leuch­ten­den Augen, „ist die Mühlendammbrücke mitten in Mitte, wa.“ Und die werde doch wahrhaftig durch Berlins ureigenste Energie geheilt: den Techno. „Es geht ja eben doch viel um Schwingungen und so“, wedelt Trepkewitz zum ersten Mal begeistert wild in der Luft herum.

Weshalb hier nun Tag und Nacht die Bässe der über die Brücke verteilten Boxen die Bausubstanz wieder in Form wummern – „meine Idee“, strahlt der Strahlemann. Ob das allerdings wirklich über den Placeboeffekt hinaus wirkt – die Londoner Alternative Rockband Placebo hat hier kürzlich ein Benefizkonzert zugunsten der Brücke gegeben –, traut sich Trepkewitz nicht zu sagen.

Klar ist: Die allermeisten Sanierungskonzepte dürften, auch und vor allem in Berlin, nicht über den Status als Pilotprojekt hinauskommen. Was die Senats­baudirektorin jedoch nicht im Geringsten davon abhält, ihr Konzept in einer Pressemitteilung als Erfolg zu sehen: Die Projekte hätten die Menschen wieder für ihre Infrastruktur begeistert, die Berliner Universitäten verzeichneten eine starke Zunahme an Einschreibungen für Bauingenieurwesen.

Sie, Prof. Petra Kahlfeldt, sei überzeugt: Menschen, die sonst mit ihren Klangschalen im Ashram verschwunden wären, bauten so in ein paar Jahren nicht nur Berlin, sondern ganz Deutschland wieder auf. Es ist zu hoffen, dass Kahlfeldt recht behält.

Fragt man schließlich Bauleiter Michael Trepkewitz, was seiner Stadt helfen könne, schaut er lange in die Ferne. „Besser nichts“, sagt er dann. „Immer, wenn Berlin ne Grundsanierung brauchte, hat dit gleich die Weltjeschichte umjeworfen.“ Das sei 1945 so gewesen und 1989 nicht anders. Darauf habe er keine Lust. „Da solls lieber so weiterjehen wie jetze. Manche sagen: langsam. Ick sage: jemütlich.“

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