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Die WahrheitSterben für Schalke

Dass es keine Typen mehr gibt, wird nicht nur im Fußball dauernd beklagt. Wo ist bloß die gute alte Zeit, als Schienbeinbrecher noch normal waren?

Typischer verhasster Altprofi: der dicke Ronaldo Foto: AP

Die anstehende Demission des bayerischen Heimatfußballspielers Thomas Müller ist der aktuelle Auslöser für eine neue Strophe des seit Jahrzehnten wiedergekäuten Lamentos, es gebe unter den Fußballern „keine Originale mehr“. „Echte Typen“, so die Klage früh-, mittel- und spätvergreister Sportjournalisten, müsse man mit der Lupe suchen. „Erfrischend ehrliche Spielerpersönlichkeiten“, die „das Herz noch auf der Zunge tragen“, ganz im Gegensatz zu den „stromlinienförmigen Beamtenfußballern“ von heute.

Diese Antipoden des „knorrigen Unikums“ müssen nun bei jeder Gelegenheit als Popanz herhalten: „Beliebig austauschbare gegelte Bürschchen“, nicht selten mit Abitur, obwohl das nutzlose Wissen nach drei „knackigen Kopfballduellen“ eh unwiederbringlich dahin ist. Sie kommen „mit der Aktentasche zum Training“, manche sogar mit dem Fahrrad. Nach der Übungseinheit radeln die „gleichgeschalteten Sportklone“ wieder nach Hause, statt wie früher mit den Mitspielern singend in die Kneipe weiterzuziehen, denn damals war viel mehr „Kameradschaft“ und „echter Zusammenhalt“ im Team, da waren das noch nicht alles „selbst­optimierte Söldner“.

Diese „konturlosen Jasager“ sondern nur noch „leere Worthülsen“ ab, wollen wahlweise „nirgends anecken“ oder sind gar von „clubeigenen Medienberatern geschult“ und reden von langweiligen Laufwegen, wo das Original der Siebziger-, Achtziger- oder Neunzigerjahre nach dem Spiel mit der Kippe im Mund ins Mikro der Sportwochenschau rülpste: „Samstach in Gladbach war ich noch so besoffen, dass ich nach einem Sprint direkt vor die Fankurve gekotzt habe.“ Haha, schöne Anekdote. Außerdem war „der schwule Schiri“ bestochen, „ich sterbe jederzeit für Schalke“, überall lauern „warme Brüder“, und man „spielt hier keinen Mädchenfußball“.

Aussagen, wie die „echten Fans“ sie hören wollen, die verzweifelt auf der Suche nach dem „wahren Puls des Fußballsports“ sind. Denn wo im Stadion vegane Wurst angeboten wird und Schiedsrichterinnen nicht mehr mit Vergewaltigungsgesängen bedacht werden dürfen, droht der Fußball „seine Seele zu verlieren“, und wir sehnen uns nach der „guten, alten Zeit“ zurück: die legendären Kesselschlachten von Halbe, Heysel, und Hillsborough …

Rettchen schmöken

Während der „lupenreine Straßenfußballer“, der „sich nicht verbiegen lässt“ in der Halbzeitpause zwei schnelle Rettchen schmökte, wirft heute der Beamtenfußballer einen Blick auf das iPad des Taktiktrainers. Dem Streber hätten sie früher die Schnürsenkel der Töppen zusammengeknotet und zehn Mann hoch rein geschissen, jetzt sind sie alle so.

Er achtet auf seine Ernährung, Regeneration und hat Kondition für eine ganze Partie, wo früher spätestens ab der 70. Spielminute alle nur noch wirr übereinander purzelten wie im Bällebad. Das machte doch den „Reiz des Spiels“ aus, dieses „Unberechenbare“ der „Instinktfußballer“ und keine technisch und athletisch perfekten Maschinen wie seit jeher in anderen professionell betriebenen Sportarten.

Der Sport war rau und ehrlich. „Eisenharte Abwehrspieler“, spezielle Originale, die man im Steinbruch gecastet hatte und die kaum den Ball stoppen konnten – wozu auch? –, traten den trickreichen Technikern „clever“ das Schienbein durch. Die überlegten sich beim nächsten Mal genau, ob sie den Ball nicht lieber abspielten, anstatt das „mit allen Wassern gewaschene Schlitzohr“ durch brotlose Fummelei zu provozieren.

Es gab auch nicht für jeden Scheiß gleich die gelbe Karte – die Regelauslegung war noch nicht von weinerlichen Snowflakes gekapert. Die meisten Schiedsrichter kamen direkt aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft.

Claims abstecken

Auch im Trainingslager ging es noch richtig ab. Ins Hotelfoyer gepinkelt, um erst mal den Claim abzustecken, Zimmermädchen belästigt und jeden Abend alle Mann mit zusammengeknoteten Bettlaken aus dem Fenster im sechsten Stock des Mannschaftshotels abgeseilt, Räuberleiter über den Stacheldrahtzaun und ab ins nächste Bordell mit Branntweinausschank. Um drei Uhr morgens stockvoll zurück. Herrlich, es war wie eine Klassenfahrt für schwer erziehbare Testosteronopfer – das war noch richtiger Teamsport.

Auch nach dem Ende der aktiven Zeit. Wenn Spieler heute aufhören, „trainieren sie ab“, haben „vorgesorgt“ und einen „Karriereplan“ entworfen. Manche studieren, werden „Sportpsychologen“ oder „Ernährungsberater“. Laaaaangweeiiiliiig.

Bei den Originalen ging es hingegen danach erst so richtig los: häusliche Gewalt, Insolvenz, Alkoholismus. Nach dem Spiel war vor dem Tod. Denn zur Folklore eines Altstarlebens gehörte unbedingt die völlige Verarmung, der Lebenssinnverlust und letztlich das Totsaufen im Kreise falscher Freunde. Warum gibt es das nicht mehr, was ist bloß aus unserem Fußball geworden?

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8 Kommentare

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  • Sehr schön geschrieben :) Schwachsinn sabbeln über Fußball, manchmal herrlich entspannend. Hat aber nichts mit dem realen Leben zu tun.



    Manchmal kneift es im Hinterkopf: was hätte aus Socrates, George Best oder Mario Basler werden können, wenn sie die Professionalität eines Cristiano Ronaldo gehabt hätten. Und wenn Marion Basler mal hin und wieder ein Buch in die Hand genommen hätte? Vermutlich mindestens so legendäre Fußballer, aber eben nur sehr bedingt brauchbare Kultfiguren.



    Der einzige, der alles hatte war einfach Diego: ein unfassbar guter Fußballer (WM 86!!), dazu Kultfigur, tragischer Held, am Ende als Witzfigur verlacht.

  • "Sterben für Schalke" - seltsamer Tausch.



    @Kunoberti. Kohle-Eisen-Schlegel-Bier kennt man übrigens noch, und sei es durch das Ex-Gebäude gleich am BO-Rathaus. Das trank man auf Schalke auch noch?

    • @Janix:

      Klar doch, bloß kein Dortmunder Union!

  • Ernstgemeinte Frage an den Autor. Wann hat denn Thomas Müller, der hier als Aufhänger zum "Thema keine Typen mehr" dient, jemals irgendetwas dergleichen gesagt oder getan? Hat der jemals über "Mädchenfußball" oder "schwule Schiris" hergezogen? Hat der gesoffen oder geraucht? Is der durch "häußliche Gewalt" oder sonstige Eskapaden auffgefallen? Oder sind das nur die Attribute, die man höchst selbst so im Kopf hat, wenns um Originale geht?

    • @Deep South:

      Am besten einmal die Müller-Doku auf Amazon anschauen. Die ist am Ende ebenso stinklangweilig wie die über Toni Kroos oder Bastian Schweinsteiger. Müller gefühlt zehnmal bei seinen Eltern zum Essen, alles total normal für einen Typen, der 20 Mio. im Jahr verdient, zumindest will einem das Amazon weißmachen. Müller mit frechen Sprüchen im TV, Müller leidet, weil nach elf deutschen Mesiterschaften in Serie doch die Welt einstrürzt und Bayer Leverkusen Meister wird. Müllers Bruder ist Fanbeauftragter, Müller spielt mit seinem Vater Golf, Müllers Frau hat Pferde, langweiliger geht es echt nicht.



      Wenn das schon reicht um ein Typ zu sein, mei, dann bin ich auch einer, nur ohne Fußball.



      Schweinsteiger ist ein netter Kerl, den man sicher ganz gern als Nachbar hätte, aber mehr dann eben auch nicht. Und Kroos ist ein Typ, der meint, eine Familie zu haben bedeutet, diese als Hobby, Lebensinhalt und hundertprozentige Freizeitausfüllerin zu nutzen. Selbst wenn er die Champions League geholt hat gibt es kein Bier mit den Kollegen. Okay, kann er ja machen, aber will ich das sehen?

    • @Deep South:

      Müller ist ein seltener "Rebell", in der Tat. Der Beerdigungs-Witz war schön auch auf eigene Kosten und mit dem Körnchen Wahrheit.



      Vergessen wir dabei nicht, dass er dabei schon auch mal jemanden von oben bloßstellte, den Bayern-München-Hochmut zelebrierte etc. Wie wir alle ist auch Thomas Müller kein Halbgott.

    • @Deep South:

      Thomas Müller ist als Urbayer mit dem landestypischen Humor gesegnet, der offensichtlich im Tiefen Süden der Republik auch immer seltner wird. Einer von den [Zitat aus dem Artikel]: „ ,Erfrischend ehrliche[n] Spielerpersönlichkeiten', die ,das Herz noch auf der Zunge tragen', ganz im Gegensatz zu den ,stromlinienförmigen Beamtenfußballern' von heute."

  • Stimmt, was ist nur aus unserem Fußball geworden. Nicht nur aus dem Fußball - was ist mit den Spielern passiert - früher, da hat der Jupp Broden für ne Kiste Schlegel-Bier jeden Elfer gehalten - und heute? Die wissen ja nicht mal was Schlegel Bier ist.