Die Wahrheit: Wiedergänger leben länger
Mit oft irritierendem Verhalten machen sich Untote wenig Freunde unter Lebenden. Das muss doch nicht sein …
Wiedergänger sind Einzelgänger, das weiß fast jeder. Doch wer weiß heutzutage noch, was ein Wiedergänger eigentlich ist? Noch weniger Menschen sind so einem Wiedergänger jemals leibhaftig begegnet.
Denn ein Wiedergänger ist ein Untoter. Und das erschwert die leibhaftige Begegnung mit ihm. Die wird auch noch dadurch erschwert, dass eine besonders bequeme Gruppe der Wiedergänger ihr gemütliches Grab körperlich gar nicht verlässt. Diese Herrschaften nennen sich Nachzehrer und sie saugen ihrem Opfer den Lebenssaft aus der Ferne aus dem Körper.
Das tun sie, indem sie ihr Leichentuch auskauen. Dadurch entsteht eine Fernsaugwirkung, die der Mythologe laut Online-Lexikon Mythopedia „Sympathiezauber“ nennt. Man möchte nicht wissen, wie erst ein unsympathischer Zauber wirkt.
Kaum Anerkennung bei Schülern
Doch gehen wir wieder zurück zum Wiedergänger: Der Wiedergänger oder Untote ist ein Verstorbener, der in unsere Welt zurückkehren will. Beziehungsweise ist er einer, der unsere schöne Welt gar nicht erst verlassen will. Dafür saugen sich die Herrschaften natürlich tausend Vorwände aus ihrem ollen Leichentuch. Der Hauptgrund, man wolle sich gesellschaftlich nicht verschlechtern, ist verständlich, aber wenig akzeptabel. Man nennt dieses egoistische Motiv in der einschlägigen Forschung „German Höllenangst“. Viele Wiedergänger versuchen, sich unauffällig gesellschaftlich einzugliedern, beispielsweise als Aushilfslehrer oder als Schattenkrieger in Putins Truppe. Doch Anerkennung bei den Lebendigen findet man so kaum, am wenigsten bei den verängstigten Schülern.
Es ist kein Wunder, dass die Gruppe der Wiedergänger bei diesem schlechten Ruf unter einem massiven Nachwuchsmangel leidet. Workshops und Weiterbildungsseminare helfen dagegen kaum, die Wertschätzung der Untoten bleibt unterirdisch, die Stimmung unter Wiedergängern miserabel.
Desillusioniert fallen viele Wiedergänger durch die obligatorische Wiedergängerprüfung und müssen dann zur Wiedergängerwiederholungsprüfung antreten, nur um wieder und wieder durchzufallen. Dieser Immerwiedergänger steckt jedoch in einem derben Dilemma. Im Totenreich erfährt er nur Ablehnung, weil er ja irgendwie untot ist, und den Lebenden ist er wiederum zu unlebendig. Der allereinzige Vorteil des Wiedergängerdaseins ist, dass der Untote länger lebt als unsereins. Mit dem Motto „Wiedergänger leben länger!“ versuchen die Freunde der Wiedergänger das Image der Untoten aufzubessern.
Schlechtes Aufsprungverhalten
Dem guten Leumund entgegen wirkt leider die schlechte Angewohnheit des Aufhockens. So nennt man das Aufspringen der Untoten auf Lebendige. Dieses Aufsprungverhalten nennt man anderswo auch Huckop oder Huckupp. Der Huckauf oder Schluckauf hat damit nichts zu tun und tritt allenfalls sekundär auf.
Beim Huckopp springt der Aufhocker einem nächtlichen Wanderer in Friedhofsnähe auf den Rücken und macht sich dabei unnötig schwer. Der Hocker bleibt dann so lange hocken, bis der bedauernswerte Wanderer tot zusammenbricht. So machten sich die Untoten über Jahre unbeliebt und sich damit das eigentlich unbeschwerte Untotenleben unnötig schwer.
Aufgeschlossenere Wiedergänger haben dem Aufhocken deshalb völlig abgeschworen und umfahren die Friedhöfe zeitgemäß mit dem E-Bike. Doch ob das reicht, das katastrophale Gesamtbild aufzuhellen?
Wohl kaum. Dazu kommt die sinkende Akzeptanz des modernen Publikums für das Morbide. Immer häufiger hört man heutzutage: „Lass mich zufrieden mit dem Morbiden.“ Darauf reagiert der gereizte Untote oft damit, dass er den Kritiker oder die Kritikerin trotzig aussaugt und die sterbliche Hülle an die Friedhofsmauer lehnt. Kein Wunder, schließlich sind Wiedergänger auch nur Menschen. Untote allerdings.
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