Die Wahrheit: Spendierhosen bitte
Tagebuch einer Nehmerin: Wenn sich der Januar von seiner freigiebigen Seite zeigt, stecken oft Verwirrte oder Möchtegern-Tycoons dahinter
N eulich in der Kölner Heimat durfte ich den Versuch zweier Friedhofsgänger bezeugen, die formalästhetisch recht verwirrende Grabsteinskulptur meines Großvaters zu interpretieren: „Wat soll dat denn bedeuten?“ – „Vielleisch … Jeben – Nehmen?“
Tatsächlich zeigte sich der Januar dann von der Geberseite. „Frohes Neues Jahr! 500 Euro geschenkt! Herzlichst Dein Nachbar“, grüßte es von einem verheißungsvoll dicken Umschlag, den ich nach meiner Rückkehr aus dem Briefkasten fischte. Hatte der immer ölig grinsende Rentner aus dem vierten Stock plötzlich die Spendierhosen an oder wollte der dauerbekiffte Trust-Fund-Hippie unterm Dach, der das Geld seiner Eltern in Dope umsetzte, mir auch mal was gönnen?
Im Geiste sah ich mich bereits wie im Film von Banknoten beregnet, stattdessen lag ein 500-Dollar-Geschenk in Form eines schlichten QR-Codes bei, „um den „effektivsten Erfolgs- und Manifestation Audio Kurs, der jemals entwickelt wurde, KOSTENLOS zu erhalten“. Und es kam noch besser: Der Mann, der den Kurs abhalten würde, war „jemand, der MILLIARDEN verdient hat!“. Das Ganze gab es sogar auf Deutsch, und man durfte auch in Euro einlösen!
Entweder lebte in meiner Hood ein heimlicher Milliardär, oder irgendein Möchtegern-Tycoon hatte beschlossen, für den Anfang ganz analog und grassrootmäßig unsere Briefkästen und Hirne zu verstopfen, um anschließend die Konten williger Geschwurbel-Follower zu schröpfen. Die staunende Weltgemeinschaft darf zur Zeit ja quasi im Minutenrhythmus erleben, wie verblüffend simpel Potentatenpläne so sind: Ihr gebt uns, was ihr habt, und wir hauen euch dafür die Welt in Trümmer. Ja, danke auch.
Mit einem einigermaßen beunruhigenden „Wir sehen uns an der Spitze! Mögest du nie mehr Derselbe sein“, verabschiedete sich der unbekannte rechtschreibschwache Gönner von mir. Hätte ich den QR-Code gescannt, wäre sein Wunsch vermutlich in Erfüllung gegangen, weshalb ich schweren Herzens entsagte.
In der Welt des Gebens und Nehmens scheint aber auch noch so einiges andere in Bewegung zu geraten. Unter „Verschiedenes“ stieß ich in meiner Sonntagszeitung auf das Inserat „Erblasser gesucht! Falls Du kürzlich jemanden enterbt hast oder einfach nicht weißt, wer von den ganzen Schwaadlappen in Deiner Familie würdig genug wäre, irgendwas von Dir zu bekommen, stehe ich als Erbnehmer zur Verfügung.“
Als Kölnerin fühlte ich mich sofort angesprochen, allerdings hätte ich den hoffnungsvollen Bewerber enttäuschen müssen. In meiner gesprächigen Familie fällt nämlich – ta-daa! – die Rolle des „Schwaadlappens“, also des gefürchteten Dauersabblers, im Zweifelsfall mir selbst zu. Mal ganz abgesehen davon, dass ich vorhabe, meinen Restbesitz mit ein paar übriggebliebenen Würdigen zu verprassen. Drieß op d’r Driss, Jung – mach dir nix draus. Das Leben gibt, das Leben nimmt.
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