piwik no script img

Die WahrheitBorn to be Wildblume

Eine Diversitätsmanagerin soll den Rockerklub Bandidos endlich auch für die Gen Z öffnen. Denn auch Rockerbanden sollten mit der Zeit gehen.

Kutte tragen sie alle, auch der Herr links Foto: ap

Merle Schröder sitzt hinter ihrem höhenverstellbaren Schreibtisch und blinzelt erschöpft auf die Tasse Ostfriesentee und die Linie Koks, die ihre Assistentin Bunny gerade vor uns abstellt. „Wenn man einen neuen Job beginnt, hat man in den ersten Arbeitswochen immer einen kleinen Kulturschock“, flüstert sie.

Die studierte Personalerin wurde als erste Diversity Managerin bei den Bandidos angestellt, nachdem Hunderte Mitglieder des Rockerklubs im Sommer zu den verfeindeten Hells Angels übergelaufen waren. Zusammen mit den anderen Neulingen, dem Feel-Good-Officer Noah und dem Nachhaltigkeitscoach Linus soll die junge Frau die Nachwuchsprobleme des Männerbunds lösen.

In der modernen Welt von Cyberkriminalität und E-Scootern wirken die Herren auf ihren Verbrennermotoren aus der Zeit gefallen. Einige Haudegen der alten Garde sind in die Motorradgottesdienstszene abgedriftet, andere wurden mit den Jahren einfach totgestochen. Nun versuchen die Bosse den Klub zu modernisieren und für die Gen Z zu öffnen.

Auf die Frage, was ihre Vorgesetzten denn so für Charaktere wären, zuckt Merle kurz zusammen, bevor professionelle Apathie auf ihr Gesicht zurückkehrt. Natürlich hätten die Führungspersönlichkeiten alle einen „Dickkopf“, winselt Merle, aber es sei ja auch eine schwerkriminelle Rasselbande, die sie da mit extremer Gewalt zusammenhalten müssten.

Fair Trade

Trotzdem haben Merle und ihr Team schon einiges erreicht. Für einen Moment löst sie den Blick vom Fußboden und strahlt uns aus blutunterlaufenen Augen an: „Wir haben ein Fair-Trade-Siegel eingeführt. Um nachzuweisen, dass die Sexarbeiterinnen, Entschuldigung, die Nutten, aus fairem und nachhaltigem Menschenhandel stammen.“ Mehr noch als in anderen Firmen werde bei den Bandidos das Motto gelebt, dass Menschen das größte Kapital des Unternehmens seien. Weil man sie hier nämlich zwangsprostituiert.

Mit Maßnahmen wie dem Siegel hofft Merle, den Klub für Nachwuchskräfte attraktiver zu gestalten. Es gehe darum, die jungen Leute direkt aus dem Studium oder der Untersuchungshaft abzuwerben und für Visionen und Werte der Company zu begeistern.

So gibt es immer frisches Obst und Nutten im Büro, donnerstags geht man gemeinsam zum Kickern und in der Probezeit dürfen alle neuen Kol­le­g*in­nen ein Mitglied ihrer Wahl der rivalisierenden Hells Angels erschießen – solche Angebote und Aktivitäten schaffen Zugehörigkeitsgefühl und eine enge Firmenbindung.

Selbst die Debatte um das Homeoffice ist an den Rockerklubs nicht vorbeigegangen und wie in den meisten Unternehmen fand man einen Kompromiss: Das Remote-Office wird geduldet, wenn aus dem Knast heraus gearbeitet wird. Es herrscht eine Art Vertrauenssystem, zwar ohne Vertrauen, jedoch mit Videoüberwachung.

Merles Blick verliert sich für einen Moment im Fenster zum Hof. Im Herbstlaub sieht man ein paar glatzköpfige Männer mit Kampfhunden, deren Nackenhaut auf ihren Hinterköpfen spannt (sowohl den Männern, als auch den Hunden) und einen verängstigt guckenden Hipster, der seinen Vegan-Taco-Foodtruck aufbaut.

Mehr Koks

Eine Idee von Feel-Good-Officer Noah und Nachhaltigkeitscoach Linus, von denen allerdings jede Spur fehlt, seit sie beim Grillfest vor zwei Wochen die Nackensteaks mit veganen Alternativen ersetzt haben.

„Mehr Koks für mich“, scherzt Merle. Aber eben auch mehr Arbeit. Zur Diversitätsförderung kommt die Diversity Managerin im Grunde gar nicht mehr.

Traurig ist sie darüber aber nicht, denn „Diversität“ wird von der traditionell rechtsradikal verbandelten Führungsriege der rein männlichen Rockervereinigung eher klein als groß, jedenfalls keinesfalls richtig geschrieben. Merles Idee, Pronomenaufnäher für die Kutten einzuführen, wurde mit gemischten Kniescheibenschüssen aufgenommen.

Überhaupt fällt Merle die Kommunikation mit ihren Vorgesetzten nicht immer leicht. Bei der Einstellung dachte sie noch, dass sie in der Reinigungsbranche gelandet sei, weil es ständig um „Nutten bürsten“ und „Fressen polieren“ ging.

Ob sie sich vorstellen könne, noch einmal zu wechseln, wollen wir wissen, als wir nach einigem Hadern dann doch das Koks in die Nase ziehen, aber Merle winkt ab.

Handel mit Honig

Zum einen möchte sie nicht zu einer der Mitbewerberorganisation gehen – weil sie als Loyalitätsbeweis ihre jetzigen Arbeitgeber erschießen müsste – zum anderen hält sie das neue Gesichtstattoo davon ab, sich in einer ganz anderen Branche zu bewerben.

Nachdenklich und mit einem unbändigen Drang zu kauen, verlassen wir das Klubhaus. Zum Abschied zeigt uns Merle den Parkplatz, den sie im Frühjahr in eine Wildblumenwiese mit Bienenstock umbauen möchte. Doch ob die Bandidos wirklich vom Drogen- auf Honighandel umsatteln werden? Oder wird Merle für die Idee ein weiteres Mal einen glühenden Auspuff anfassen müssen?

Uns ist das egal. Wir finden alles einfach nur geil. Wir sind geil, die Rocker sind geil, Diversifizität ist arschgeil!

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Born to be wild!



    Sehr schöner Bericht. Für Honig fehlen nur noch die Bienen (🐝)