Die Wahrheit: Raus mit den Gelsen!
Der Freistaat Bayern kennt bei Insekten keine Gnade. Unterwegs in Stadt und Land mit der Obermayer Rosel, einer strikten Krabbeltierbekämpferin.
Es ist ein wildes aufeinander Einklatschen. Im lauschigen Biergarten am Münchner Bavariapark ist mal wieder das Chaos ausgebrochen. Kellner und Gäste des beliebten Lokals dreschen wie wild mit Fliegenklatschen. Im Kampf gegen die allabendlich über den Freistaat hereinbrechende Schnakenplage werden Tische umgeworfen, stoßweise wird urbaierisch verwünscht. Zum Glück kommt das von der Obermayer Rosel angeforderte Ablenkungsmanöver in Form einer verschwitzten Läuferhorde genau richtig. Die Wolke aus Moskitos lässt sofort von den Besuchern ab und nimmt kollektiv die Verfolgung der lecker riechenden Freizeitsportler auf.
Derweil gibt die studierte Chemikerin den wenigen in Tellernähe verbliebenen Stechbiestern mit ein paar langgezogenen Sprühstößen aus ihrer Giftkonserve den Rest. Obermayer, die zum Dirndl stets Tropenhelm trägt, ist seit Beginn des Sommers offizielle Ungezieferbeauftragte der bayerischen Landesregierung. Die finanziellen Auswirkungen der Mückenpest auf Tourismus und Gastwirtschaft sowie das allseits diskutierte Insektensterben sind für die CSU-Politikerin allerdings zweitrangig. Bei ihrer persönlichen Vendetta gegen alles, was in Bayern kreucht und fleucht, begleiten wir die Kleintier-Terminatorin heute exklusiv.
Als uns via Funk die Meldung erreicht, dass es die Altherren-Laufgruppe des Schwabinger SC auf der Flucht vor den Blutsaugern nicht durch den Englischen Garten geschafft hat, sind wir in Obermayers Jeep bereits an den mückenverseuchten Gestaden des Starnberger Sees angekommen. „Damit die Münchner Schickeria an Wochenenden und in den Ferien weiter für Umsatzsteuereinnahmen im sechsstelligen Bereich sorgt, war der Freistaat bei der Bewilligung von Zuschüssen für Umbauten äußerst großzügig“, lobhudelt die Schädlingsbekämpferin. „Seit 2023 sind Biergärten hier im Fünfseenland in der Regel hermetisch abgeriegelt und vollverglast. Kommen Sie!“
Beim Seewirt werden wir nach Aufenthalt in der Hygieneschleuse in einen dekontaminierten Reinraum vorgelassen. Dort können wir Weißbier und Maß über einen Schlauch gefahrlos in die blütenweißen Raumanzüge saugen. Die Gelsen-Rosi winkt ab. „Das typisch bayerische Flair bleibt hier natürlich ein wenig auf der Strecke. Markus Söder hat in seiner allumfassenden Weisheit aber auch für das proletarische Restbayern Lösungen im Blick. Da, schauen Sie!“
Gigantischer Windpark
Am Horizont bilden Hunderte von mühlenartigen Gebilden ein Ensemble, das auf den ersten Blick wie ein gigantischer Windpark wirkt. Die Obermayerin weiß es besser. „Nach der Rückkehr zur Atomkraft sollen nuklearbetriebene Ventilatoren die Mücken ab 2026 mit 1.1 Gigawatt einfach ins nichtbayerische Ausland wehen.“ Weil das Konzept des Hinüberblasens nur in weiten und offenen Landschaften funktioniere, habe man sich für den urbanen Bereich allerdings einen anderen Ansatz überlegen müssen. Den zeigt uns die erklärte Bienenfeindin heute ebenfalls „gern“.
Nach zweistündiger Autofahrt Richtung Franken präsentiert uns die Obermayer mit der Nürnberger Innenstadt stolz das erste insektenfreie Zentrum Süddeutschlands. Tatsächlich können wir vor lauter Abgasen die Hand vor Augen nicht erkennen. Um an der Mautstelle eine Plakette für die City zu bekommen, muss Obermayer lediglich den Auspuff ihres Verbrenners mit einem Bauhammer abschlagen. Kraftfahrzeuge mit Elektromotor sind selbstredend verboten. „Dank eines nahezu ungefilterten Feinstaubausstoßes hat die Heimat unseres Ministerpräsidenten nun die höchste Konzentration von Rußpartikeln in Europa“, freut sich die Kammerjägerin. „Damit wird alles von der Bremse über die Gelse bis zum Schmetterling hin sukzessive ausgeräuchert.“ Vor den Cafés entlang der Pegnitz lässt sich denn auch der Bienenstich ohne Belästigungen durch brummende Pollenträger genießen. „Das heißt, falls man ihn wegen der veränderten Sichtverhältnisse auf dem Teller überhaupt findet“, kichert die Obermayer Rosel.
Nach der Rückfahrt in die Landeshauptstadt München verrät uns die angeschickerte und nach einem Tigermückenstich bereits fiebernde Dame schließlich noch ein gut gehütetes Geheimnis. „Angesichts des unerschöpflichen Vorrats und der unschlagbar niedrigen Produktionskosten stellen wir in Bayern mittlerweile ausschließlich mückenbasierte Fleisch- und Wurstwaren her. Das macht uns Christdemokraten Richtung Grüne natürlich extrem unglaubwürdig. Wären Sie deswegen so freundlich, Ihren Artikel erst nach der Bundestagswahl zu veröffentlichen?“
Ohne zu antworten, schlüpfen wir aus dem Jeep, stehlen uns durch das summende Inferno Richtung Münchner Hauptbahnhof davon. Zu unserer großen Überraschung werden wir nicht ein einziges Mal gestochen.
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