Die Wahrheit: Am Waschraumaltar
Tagebuch einer Chaosreisenden: Neuseeland ist voller Gegensätze, so sitzt auf der Nordinsel der Blinker im Auto woanders als auf der Südinsel.
D erzeit wird das Team P & G – auch bekannt als „Chaosreisen Unlimited“, in Neuseeland auf harte Proben gestellt.
Kaum haben wir unter reger Anteilnahme der Nordinselbewohner den Linksverkehr gemeistert, müssen wir, begleitet vom kollektiven Aufatmen der Bevölkerung, unser Mietauto vor der Überfahrt auf die Südinsel zurücklassen. Bei der Ankunft erwartet uns zwar das gleiche Modell, aber aus Gründen, die nur Suzuki oder die Südinsulaner kennen, sind die Hebel für Blinker und Scheibenwischer seitenverkehrt vertauscht.
Irgendwo habe ich gelesen, man solle im Alter neue Dinge lernen, das trainiere das Gehirn. Ab jetzt trainieren wir abwechselnd – dem Dichter Ernst Jandl folgend – „rinks und lechts“ nicht zu „velwechsern“. Bei strahlender Sonne wird hektisch scheibenwischend abgebogen, bei Regen versuchen wir auf abenteuerlichen Bergstraßen so lange mit erratischem Geblinke die Windschutzscheibe klar zu kriegen, bis die bislang eher stoischen Einheimischen kurz davor sind, uns entnervt in die nächste Schlucht zu schubsen. Glücklicherweise landen wir nicht deshalb, sondern nur wegen einer schlichten Infektion im „Emergency Room“.
Von einem reizenden Arzt empfange ich Antibiotika und die beschämte Entschuldigung, die Behandlung für Touristen sei hierzulande leider nicht völlig umsonst. Ich entschuldige mich im Gegenzug dafür, dass er, sollte es ihn jemals nach Deutschland verschlagen, auf keinen Fall damit rechnen dürfe, dass dort irgendwas umsonst sei, schon gar nicht – sucht man sie nicht ohnehin vergebens – öffentliche Toiletten.
Die sind nämlich nach meinen Beobachtungen der Stolz der Kiwi Nation. Unentgeltliche Erleichterung in gepflegter Umgebung gilt hier als Menschenrecht. Dabei scheint man von der farbenfrohen Lightshow in Paihia über Hundertwassers kreatives Fliesenchaos in Kawakawa bis zum letzten Kuhdorf einen „Unser Klo soll schöner werden“ – Wettbewerb um die außerordentlichste „Public Toilet“ auszutragen. Mein persönlicher Favorit ist bislang der mit frischen Blumen geschmückte Waschraumaltar in der Grünlippenmuschel-Metropole Havelock. Auf meine Frage, ob das wegen Ostern so aussehe, ernte ich verständnislose Blicke, man bemühe sich um „Seasonal Decorating“. In Erinnerung an saisonunabhängig mit Zugangsschranken dekorierte deutsche Autobahnklos, von deren Notdurftzoll man im Laufe eines Lebens mehrere Fernreisen bezahlen könnte, kommen mir vor Rührung fast die Tränen.
In Nelson an der berühmten Tasman Bay ziert ein Gebäude den Marktplatz, das außer „Solar Superloos“ auch Waschmaschinen anbietet, der Gast wird lediglich höflich gebeten, vom Geschirrspülen in der Dusche abzusehen, auf dem Klo säuselt „What the world needs now is love, sweet love…“ Wie wahr.
Blinken hat das Team P & G übrigens inzwischen drauf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland