Die Wahrheit: Lockend krächzendes Kröck
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (184): Blässhühner tauchen gern ab und anderswo wieder auf, wenn sie nicht vor sich hin brüten.
![Blässhuhn auf grünem Teich Blässhuhn auf grünem Teich](https://taz.de/picture/6748873/14/WahrBla-sshuhnReuters11012024-1.jpeg)
„Das Blässhuhn ist eine rundliche Erscheinung“, heißt es im wildtierportal. Es hat über seinem weißen Schnabel eine weiße Blässe und ist ansonsten grau-schwarz. Auf den zig Seen und Kanälen in und um Berlin finden viele Blässhühner ihr Auskommen, das heißt diese zur Familie der Rallen zählenden Tauchvögel können sich hier gut über Wasser halten, zumal die Stadt in den achtziger Jahren ein „Röhrichtschutzgesetz“ verabschiedet hat – mit Barrieren gegen den Bootsverkehr.
Im Kanalabschnitt vor dem U-Bahnhof Hallesches Tor lebt schon seit einigen Jahren ein Blässhuhnpaar. Ich sehe es mehrmals in der Woche, die beiden sind nie weit weg. Manchmal unterhalten sie sich.
Auf bund-naturschutz.de findet sich eine Schilderung ihrer Lautäußerungen, die mir ganz unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt gefallen hat, sie hat Ähnlichkeit mit konkreter Poesie; die Laute sind zudem das einzig sichere Unterscheidungsmerkmal zwischen den Geschlechtern: „Ein krächzendes ‚kröck‘ stammt vom Weibchen, das beim Locken der Jungvögel weicher klingt, aber bei Erregung kranichartig trompetend. Der Ruf des Männchens ist mehr schnalzend und bei Erregung ertönt als Warnruf ein sehr hohes und schrilles ‚pix‘, bei den Weibchen ein bellendes ‚köw‘. Auch wechselt ein platzendes ‚dp‘ mit ‚pssi‘ oder ‚pschi‘ und bei nächtlichen Flügen ertönt ein trompetendes ‚päau‘.“ Das soll ihnen erst einmal einer nachmachen!
Der Landwehrkanal ist in ihrem Revier so flach, dass man bis auf den Grund sehen kann, sodass man leicht erkennt, warum das Blässhuhnpaar gerade diesen Ort gewählt hat: Es wachsen dort Wasserpflanzen.
Aufwärts schießen wie ein Stöpsel
Blässhühner bewohnen laut den bayerischen Naturschützern „Gewässer mit üppiger Unterwasservegetation“, die sie abweiden, „wobei sie mit einem charakteristischen Kopfsprung untertauchen und dann kräftig mit den Beinen rudern. Sie bleiben aber nur wenige Augenblicke unter Wasser, um auf dem Grund Pflanzenteile mit dem Schnabel abzurupfen und nach oben zu holen. Um längere Zeit unter Wasser zu bleiben ist ihr Körper zu leicht. Zum Aufwärtsschwimmen genügt ihnen der Auftrieb, wobei sie dann wie ein Stöpsel an die Wasseroberfläche schießen.“
Ihre Jungen füttern sie mit Insekten, Kaulquappen, Schnecken und kleinen Fischen, die sie selbst auch nicht verschmähen. Der Naturschutzbund spricht von einem „vielseitigen Speisezettel“.
Blässhühner haben „Schwimmlappen“ an den Füßen und nicken beim Schwimmen mit dem Kopf – wie die Tauben beim Gehen, die – nebenbei bemerkt – dort vor dem U-Bahnhof ihren Durst im Kanal löschen. Im und am Bahnhof leben viele Tauben. Und manchmal kommt auch noch eine Gruppe Enten und ein Schwanenpaar vom nahen Urbanhafen vorbei. Sie sind also in diesem Kanalabschnitt nicht allein.
Blässhühner leben gern gesellig, nur während der Brutzeit sondern sie sich als Paar ab. Das hat auch das Blässhuhnpaar am U-Bahnhof getan, das sich zum Brüten ans gegenüberliegende Ufer unter einen Steg ins Halbdunkle zurückzog, das heißt das Weibchen, das Männchen schwamm davor auf und ab und hielt gewissermaßen Wache, nachdem es das Revier ausgesucht und das Nest gebaut hatte. Gelegentlich übernahm es auch das Brüten, damit das Weibchen sich Nahrung suchen konnte.
Im Tegeler Hafen, wo viele Seerosen wachsen, sahen wir im Frühling ein Weibchen, das auf einem schwimmenden Nest aus Pflanzenteilen brütete. Das Blässhuhnpaar hatte es, folgt man dem bayerischen Bund, so an Wasserpflanzen befestigt, „dass es nicht vom Wind abgetrieben wird, aber je nach Wasserstand an den Stängeln nach oben oder unten gleiten kann“.
Dem gerade beschäftigungslosen Männchen fiel plötzlich eine nette Idee ein: Es zupfte eine Seerose mit Stiel ab und legte sie dem Weibchen an den Nestrand. Wir konnten natürlich nicht sehen, auf wie vielen Eiern es saß, aber es heißt: „Gelege mit mehr als 14 Eiern stammen von mehreren Weibchen. Bei günstigen Wetterbedingungen erfolgt auch eine zweite Brut.“
Der Blässhuhn-Experte des Bund Günter Geiß erwähnt ferner: „Die Jungen werden von ihren Eltern noch 4 bis 5 Wochen im Familienverband geführt und gefüttert, wobei sich ein Teil der Jungen an die Mutter und ein anderer Teil an den Vater hält. Die Eltern kümmern sich jeweils nur um ihren Teil. Das Männchen baut zusätzlich noch ein bis zwei Ruhe- und Schlafnester für die Jungen, auf denen sie noch länger gehudert [geschützt und gewärmt] werden. Sie sind nach 8 Wochen flügge und selbstständig, bleiben aber noch lange im Revier“, wo sie sich zu lockeren Gemeinschaften zusammenschließen.
Unter Wasser gezogen von einem Räuber
Früher musste ich die Tochter einer Freundin im Frühjahr immer mit einem Leihboot über den Neuen See im Tiergarten rudern, weil sie die Enten- und Blässhuhn-Küken aus der Nähe sehen wollte. Es gibt dort eine kleine Insel, wo deren Eltern ungestört brüten können. Einmal sahen wir ein Blässhuhn mit neun Küken, die hinter ihm herschwammen. Das letzte geriet aus dem Kielwasser der Mutter, als es nach einem Insekt schnappte – und war plötzlich verschwunden. Wahrscheinlich hatte es sich ein Hecht oder Wels geschnappt. Es ging so schnell, dass das Kind es gar nicht mitbekommen hatte.
Es wusste zwar, dass Blässhühner zu den besonders geschützten Arten gehören, aber nicht, dass sie trotzdem von Mitte September bis Ende Februar gejagt werden dürfen. Der Nabu hat später wiederholt „die Streichung des Blässhuhns aus der Liste der jagdbaren Arten gefordert“, mit der Begründung, dass „für diese Art kein konsumtives Interesse bzw. eine sinnvolle nachhaltige Nutzung erkennbar“ sei. Das Kieler Umweltministerium hat daraufhin dem Blässhuhn, das der Landesjagdverband als „leckeren Bratvogel“ bezeichnet, eine „ganzjährige Schonzeit“ eingeräumt.
Laut dem Tierschutzgesetz braucht es für das Töten eines Tieres grundsätzlich einen „vernünftigen Grund“. Dieser sei beim Blässhuhn nicht gegeben, argumentiert das Ministerium. Seine Verwertungsmöglichkeit sei „gering, außerdem seien Blässhühner nützlich, weil sich die seltenen Seeadler während der Brutzeit von ihnen ernähren“. Wohingegen die Vogeljäger im Gegensatz zu den streng geschützten Seeadlern leicht auf den Hühnerbrater Kentucky Fried Chicken ausweichen können, wovon es mehr als ein halbes Dutzend Filialen in Schleswig-Holstein gibt.
Der Flensburger Birdwatcher Gerhard Kornowski beobachtete von 1953 bis 1955 Blässhühner in den Gewässern Ostholsteins. Im Journal für Ornithologie schrieb er 1957: „Blässhühner wehren angreifende Seeadler dadurch ab, daß sie sich auf der Wasserfläche zu dichtem Gewimmel zusammenballen und (mitunter) dem Feind gemeinsam Wasser entgegenspritzen … Eine ererbte Abwehraktion des Blässhuhns besteht im Abwenden bzw. Verbergen des durch die weiße Blässe auffallenden Kopfes …“ Oder dass es abtaucht und woanders wieder auftaucht.
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