Die Wahrheit: „Ich weite die Meinungsbreite!“
Das Wahrheit-Interview: Ein Gespräch mit dem Thüringer Mastermind Egbert Bethge über gekaufte Gedanken und das Coca-Cola-Geheimrezept.
Meinungen sind heutzutage in. In welches Medium man auch blickt, überall schauen Meinungen heraus, und das, obwohl die Cancel Culture das zu verhindern versucht. Da muss man sich schon fragen, woher die Blüte all dieses frisch Geäußerten herkommt. Der Wahrheit-Redaktion ist es nun gelungen, exklusiv an den Marktführer und Opinion Leader Egbert Bethge heranzukommen, der für ein offenes Gespräch zur Verfügung stand.
taz: Herr Bethge, wir sind hier im beschaulichen Meiningen, einer sogenannten Erfüllenden Gemeinde im Thüringischen. Wie kamen Sie ausgerechnet hier auf Ihre interessante Geschäftsidee?
Egbert Bethge: Ganz einfach. Ich war einmal in unserem Hoftheater, hielt einen Opernführer in der Hand und las darin ein Zitat von Richard Wagner: „Es gibt viele Meinungen, aber nur ein Meiningen.“
Ja und?
Na, habe ich mir gedacht, da lässt sich doch bei der Meininger Meinungsstärke was draus machen!
Und Sie haben was draus gemacht. Was genau?
Vor 1989, wenn damals im Winter in allen Häusern angeheizt wurde, lagen nicht nur die Einwohner bewusstlos herum, sondern auch die Wildschweine und Hirsche, die im Ort auf Futtersuche waren. An Meinen war da nicht zu denken. Man musste schon mit einem Räuspern zufrieden sein.
Und das haben Sie dann geändert …
Ja, ein Kerl muss eine Meinung haben, wie schon Kerl Kraus sagte.
Sie meinen Karl Kraus?
Genau.
Das hat aber Alfred Döblin gesagt.
Kraus, Döblin – egal! Hauptsache, Meinung. Gerade in einer Zeit, in der versucht wird, die Meinungsbreite einzuengen.
Aber die Leute meinen doch wie verrückt in letzter Zeit?
Ja, und warum wohl?
Sagen Sie es uns …
Wegen mir und meiner Erfindung! Ich weite die Meinungsbreite. Ich kann Ihnen natürlich nicht jede Einzelheit verraten. Das ist wie beim Coca-Cola-Geheimrezept. Aber mit so einigem kann ich schon herausrücken, zumal ich mir die Patente auch auf EU-Ebene gesichert habe. Frau von der Leyen ist übrigens süchtig nach meinen Produkten!
Dann heraus damit!
Nehmen Sie zum Beispiel die Grundforderung „Wir müssen von den fossilen Energiearten wegkommen“. Die unterschreibe ich Ihnen selber gerne, als einer, der alle vier Großeltern an Rauch- und Kohlenmonoxidvergiftungen verloren hat, die beim Heizen zu DDR-Zeiten an der Tages- und Nachtordnung waren. Aber diese Formulierung lässt so viele abweichende Formulierungen zu, dass Sie damit eine ganze abendfüllende Talkshow bestreiten könnten!
Haben Sie ein Beispiel?
Etwa „Wir müssen Gas, Öl und Kohle hinter uns lassen!“ Hinter sich lassen, umdrehen, vornehmen … Verstehen Sie?
Nicht ganz. Sie verkaufen Formulierungen? An wen denn?
An Influencer, an die CDU, praktisch an alle mündigen Bürger mit und ohne Gender-Sternchen.
Sie gendern also kräftig mit?
Klar! Wer „Mensch“ sagt, muss auch an die „Menschin“ denken! Von „Klimawandel*Innen“ ganz zu schweigen. Da ist so viel heiße Luft drin, da wird Meiningen zum Luftkurort!
Und was kostet so eine neue Meinung bei Ihnen?
Pauschal 3 Euro 99 inklusive 19 Prozent Mehrwertsteuer. Es gibt aber auch Abos, wie so einen Jahreskalender mit einem täglich neuen Sinnspruch. Da steht dann eben statt „Auf denn, nicht träge sein! Strebend und hoffend hinan!“ besser „Bleibe einfach liegen, das Ende ist sowieso ganz nahe.“
Das klingt aber jetzt nach den Zeugen Jehovas und Wachturm-Weisheiten.
Die sind ja auch neben Markus Söder meine besten Kunden.
Heißt das etwa, dass Söders ständige Meinungsvolten auf Sie zurückgehen?
In aller Bescheidenheit kann ich sagen: Klar doch! Ohne professionelle Hilfe kann doch niemand sonntagmorgens im Norwegerpullover Kindern im Internet Geschichten vorlesen und Kerzen anzünden und abends aufgegriffene Grenzgänger zu Hänsel in den Backofen schieben. Das geht nur, wenn man die Märchenwelt bis in die Einzelheiten ausreizt. Wissen Sie übrigens, dass es eine Meininger Hymne gibt?
Nein, das auch noch?
Ja, und wer mag wohl der Autor sein?
Verraten Sie’s uns!
Der Märchensammler Ludwig Bechstein! Noch Fragen, Holmes?
Eigentlich nicht. Wir danken Ihnen für das Gespräch.
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