Die Wahrheit: Mein Leben mit Slowenen
Anlässlich der slowenischen Woche der Wahrheit: Ein zwischenmenschlicher Lagebericht aus Piran, Hort der touristischen und sonstigen Ereignisse.
Schatz“, sagt der junge Punk zu seiner Freundin. Sie sind mit seinen Eltern gefahren. Die Eltern sind in meinem Alter, der Punk nicht, seine Freundin schon gar nicht, aber alle sehen vertraut aus. Oder, wie der Philosoph Slavoj Žižek in „Liebe Dein Symptom wie dich selbst!“ behauptet: „Nicht mehr die Menschen glauben, sondern an ihrer Stelle die Sachen selbst.“ Und tatsächlich: Mein Frühstück im Hostel glaubt an mich.
Ich bin zum ersten und vermutlich letzten Mal in Piran. Es war eine lange, gemütliche Reise dorthin, es ging von Pula aus mit der eingleisigen Eisenbahn quer durchs innere Istrien. Es gab eine lange Wartezeit an der Grenze zur EU, die noch zwischen Slowenien und Kroatien lag, und eine an dieser Bahnstation im Nichts, an der ich umsteigen sollte. Dann nach Koper und weiter mit dem Bus in diese altitalienische Piratenstadt.
Heute Morgen ist der Himmel blau, die Wellen der Adria schlagen sich aus Verzweiflung an den Kai. Piran selbst ist eine kleine Niedlichkeit, ein Mini-Venedig mitsamt San-Marco-Imitation in der Mitte, dafür ohne Kanäle. Ein Nest aus dem späten Mittelalter, das längst auf dem Zettel von Location-Scouts steht, die für „Games of Thrones“ arbeiten und sich von örtlichen Marketingleuten ordentlich bestechen lassen.
Piran, italienisch Pirano, ist also eine kleine Touristenverabeitungsmaschine. Deutsche Rentner trotten durch die Idylle, bayerische Kleinfamilien frühstücken mit mir im Youth Hostel, der backpackende Niederländer, mit dem ich ein Sechsbett-Zimmer teilen musste, ist schon wieder abgereist. Nachts redete er im Schlaf, natürlich Niederländisch. Trotz meiner ursprünglichen Grenznähe, zwei Jahren Schulniederländisch und zehn Jahren niederländischen Fernsehens und Radios verstehe ich kein Wort.
Ein Schauspiel nur mit Stimmen
Am zweiten Abend sitze ich beim Bier in der „Cantina“, in der es nichts zu essen gibt. Vor mir ein Schauspiel vier slowenischer Männer unter Alkoholeinfluss. Ein Schauspiel nur mit Stimmen, Inhalt braucht es nicht, die Stimmlagen reichen, um die Charaktere festzumachen.
Da ist der kleine, verschlagen wirkende Mann mit der quäkigen, hohen Stimme. Er fühlt sich von einer Bemerkung des langen, genauso betrunkenen Mannes mit Bart, spitzzüngigem Humor und schwankender Stimme, der sich mit Hilfe des Alkohols endlich an sich selbst berauschen kann und trotzdem kleinmütig zu bleiben imstande ist, beleidigt.
Er droht ihm Schläge an; der kompakte Wirt mit der betont sachlichen, nüchternen, tiefen Stimme, sucht den Streit zu schlichten und hält den Kleinen fest wie einen angeleinten Hund; schließlich ist da der stimmlose Vierte, nicht unbedingt ein Denker, aber ein schweigsamer Betrachter (wie ich), dem die Streitigkeiten egal sind, weil er weiß, sie lösen sich eh irgendwann auf.
Irgendwann reicht der Lange dem Kleinen die Hand, der zaudert noch eine Runde und schafft es gerade so auf die Bank, dann zahle ich. „Free cinema“, sagt der Wirt zum Abschied.
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