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Die WahrheitMein Leben als Tourist

Österreich – das ist Urlaub für alte Leute, für Deutsche, für Kleinfamilien. Es kann aber auch ganz spannend sein, dieses kotelettförmige Land.

U nd dann kommt das Alter, in dem man nicht mehr in den Süden fliegt, sondern mit dem Zug nach Österreich fährt. Österreich, das sind Berge und Täler, Wiesen und Seen. Österreich, das ist Urlaub für alte Leute. Urlaub für Deutsche. Urlaub für Kleinfamilien.

Und da bin ich eben gestrandet. Obwohl, eben nicht „gestrandet“, eher gewiesent. Das Interessante ist, dass man es nach dem ersten Kulturschock doch irgendwie schön findet. Man gewöhnt sich an den Modder, der hier den Sandstrand ersetzt, und an die Wasserflöhe und Libellen und die Nachbarschaft zu Enten, wenn man schwimmt. Man gewöhnt sich daran, dass man das Süßwasser angenehm geschmacksneutral findet und dass Schwimmnudeln eigentlich ziemlich praktisch sind.

Im Ort gibt es die eine Pizzeria, die sogar von Italienern betrieben wird, da sitzt man dann jeden Tag. Ringsum gibt es Tennisplätze und Tischtennisplatten, es gibt Bauruinen der Eventkultur, die die Pandemie nicht überlebt haben, Hotels kurz vor der Stilllegung neben nagelneuen mit Wellnesskeller.

Unsere Pension hieß „Waldperle“, vor der Abreise mit Koffern und Kinderwagen ging der Aufzug kaputt, es war ein erweiterter Bau, der tief im Inneren in den siebziger Jahren stecken geblieben war, mit Mosaikfliesen im Bad und pinker Bettwäsche, die keine Mietwäsche war, sondern auf der hauseigenen Wäscheleine draußen auf der Wiese trocknete wie in der Weiße-Riese-Werbung.

Im Ort war es still und laut zugleich. Schließlich umrunden hier vor allem Autos den See. Zwar gibt es diese hageren Damen und Herren, diese Hemden in Radtrikots, die kleine Bergwertungen mit dem E-Bike abradeln, und die von Event-Bauernhof zu Event-Bauernhof ziehenden Eltern samt Anhang, aber sonst saust und braust alles wie auf einer italienischen Insel. Brumm, brumm, brumm. Traktoren, die 100 fahren, und Anliefer-Lkws und gewöhnliche SUVs. Und nicht alle kommen von außerhalb. Auch viele Anwohnende brummen und brausen munter durch die Gegend.

Das ist nur logisch. Der ganze See wirkt wie für den Autoverkehr angelegt. Eines dieser Hotels hat seine Garage ufernah unter einer abhängenden Wiese versteckt. Es gibt keine Umgehungsstraßen, sondern die eine Landstraße, die durch den Ort geht, und die andere, die um den See herum führt. Niemand soll mit den Öffentlichen fahren müssen, der Bus, der hier seltsamerweise „Postbus“ heißt, kommt alle Stunde und hält irgendwo, von wo aus man noch eine halbe Stunde zum Hotel latschen muss mit Sack und Pack. Irrerweise ist der Postbus auch noch teuer, weil er als „Schienenersatzverkehr“ gelabelt ist, dabei ist von Schienen weit und breit nichts zu sehen.

Und dann ist bald die Saison zu Ende und der Ort wird zugesperrt. Alle hauen ab. Sogar die Eingesessenen. Bis zum nächsten Mai. In Österreich.

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René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
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