Die Wahrheit: Hermann im Paradies
Vater würde das Paradies zur Gänze vertäfeln – oder was einem noch durch den Kopf geht, hält man Zwiesprache mit dem eigenen Erzeuger an dessen Grab.
V or einem Jahr ist mein Vater gestorben. Jetzt stehe ich manchmal an seinem Grabstein und rede mit ihm. Ich glaube, meine Mutter und mein Bruder machen das auch, aber darüber sprechen wir natürlich nicht. Wir sind Ostwestfalen, wir reden ohnehin nicht viel und über so etwas schon gar nicht.
Wenn ich dann mit meinem Vater rede, stelle ich mir vor, wo er jetzt ist und wie es da ist. Ich habe dann ein unscharfes Bild vor mir, in dem er ein paar Jahre jünger ist als zum Zeitpunkt seines Todes, so zwischen 75 und 80, aber ohne seine ganzen Malessen. Er ist körperlich quasi wieder gesund, kein Dauerkatheder, keine Bypässe. Vor allem kein Parkinson. Der Buckel ist weg. Er geht wieder grade. In meiner Vorstellung macht er da oben sehr erfolgreich Seniorensport. Er war mal, obwohl unter 1,70 Meter, A-Jugend-Kreismeister im Stabhochsprung.
Ich stelle mir vor, er lebt in einer Art Paradies. Unser Hermann war kein Typ für die Hölle. Er hat da ein Einzelzimmer, wie zuletzt im Heim, aber schöner und größer. Seine alten Kumpels, die vor ihm gegangen sind, wohnen auch nah bei. Im Paradies kann er alles, auch im Sommer Biathlon schauen. Das war für ihn das Größte.
Im Paradies wäre nie Winter, trotzdem gäbe es täglich Biathlon-Übertragungen, außer wenn Olympia und Fußball-WM oder -EM läuft. Also aktuell Frauenfußball. Danach aber wieder Biathlon. Es gäbe im Paradies kalte Tage, das ja. Wie heizen die wohl dort? Ich nehme an, mit Holz! Überall stehen Feuerschalen. Sehr romantisch, schließlich ist es das Paradies. Ich glaube nicht, dass sich da jemand um CO2 kümmert.
Hat es im Paradies Wärmepumpe?
Aber gibt es im Paradies eine ausreichende Isolierung? Hat die Chefin da schon eine Wärmepumpe einbauen lassen? Frauen frieren oft, da muss sie als Chefin auf Zack sein. Ich meine, wenn noch einer eine Wärmepumpe kriegt, dann doch sie! Und jemanden, der die Pumpen einbaut. Oder kann das allmächtige Wesen das am Ende selber? Eigentlich aber müssten genug verstorbene Heizungsbauer vor Ort sein. Aber wenn die schon länger tot sind, können die dann auch Wärmepumpe?
Oder gibt es ein System, dass die paradiesische Wärme aus der Hölle hochleitet? Quasi Fernwärme? Da oben sind ja genug Ingenieure, also wenn die Chefin das selbst nicht hinbekommt, kann sie sich das konstruieren lassen. Und wenn Treppen gebraucht werden – ich stelle mir vor, im Paradies wird ständig angebaut oder eine neue Etage draufgesetzt – das könnte mein Vater, das war seine Spezialität als Zimmermann.
Ist das Paradies seit Adam und Eva überhaupt mal modernisiert worden? Also Hermann würde da sicher gern vertäfeln. Das hat er daheim auch immer gern gemacht. Unser Haus könnte viel mehr Volumen haben, wenn er nicht alles vertäfelt hätte. Das müsste die Chefin natürlich bedenken, bevor sie ihn anfangen lässt.
Auf was für Gedanken man auf einem Friedhof kommt! Wandisolierung, Treppenbau und Wärmepumpen!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour