Die Wahrheit: Das Folterlaken
Neues aus Neuseeland: In den meisten südlichen Ländern ist es üblich, das Bett eng zu beziehen. Und die Kissen haben dazu noch eine merkwürdige Form.
Z wanzig Jahre genau lebe ich jetzt in Aotearoa: Ein schöner Grund, dem dortigen Winter zu entfliehen und sich durch wärmere Länder zu bewegen. Doch andere Sitten, andere Betten. Spätestens in Thailand – die erste Station meiner Reise – freute ich mich, dass „Bettzeug“ in den Tropen nur ein Laken zum Zudecken bedeutet. Wenn es doch bei der baldigen Rückkehr in die neue Heimat auch so einfach wäre!
Dort ist nämlich vor meiner Abreise ein Kulturkampf rund ums Bett entbrannt. Die Medienplattform The Spinoff warf die große Frage auf: Top Sheet oder keines – was ist korrekt? Dieses Extralaken liegt in vielen angelsächsischen Ländern zwischen Federbett und Körper. Wer entsprechende Hotelbetten kennt, weiß, dass dieses Folterinstrument an den Ecken militärisch festgesteckt wird.
Ich hasse diese Enge und strampele stets die Füße frei. Auch die Mediendebatte dazu wurde heiß geführt. Wozu zwei Schichten, wenn das Plumo eh schon bezogen wird? Das muss man dann nicht so oft waschen, hieß die Logik vieler Kiwis. Als Deutsche, die mit ihrer einfach bezogenen Bettdecke stets zufrieden war und im eigenen Bett nur auf Laken liegt, aber nicht unter ihnen, kam ich mir plötzlich sehr unzivilisiert vor.
Begonnen hatte es damit, dass The Spinoff sich der korrekten Kopfablage gewidmet hatte. Bis dahin hatte ich in zwei Jahrzehnten als Immigrantin tatsächlich nicht gewusst, dass es Schonbezüge für Kopfkissen gibt, die unter den Bezug gehören. Eine Kaufhausfachkraft mit dem Titel „head of pillows“ belehrte uns in dem Artikel, dass wir mit diesem unverzichtbaren Utensil die Lebensdauer von Kopfkissen ums Zehnfache verlängern. Ansonsten gehörten Kissen aus Hygienegründen jedes Jahr erneuert.
Jedes Jahr?! Nachdem ich das las, öffnete ich mit schlechtem Gewissen und schwerem Herzen unseren Wäscheschrank. Oben drin lagen sie, die Repliken der alten Welt: Quadratische Kopfkissen, die seinerzeit im Umzugscontainer von Kiel nach Christchurch ausgewandert waren. Dazu ein paar verwaschene Ikea-Bezüge – die einzigen, die noch darauf passten. Denn in Neuseeland gibt es nur schmalere rechteckige Kopfkissen.
Die liegen auch auf all unseren Betten. Und die damals eingeschleppten seitdem vergessen im Schrank. Unsere urdeutschen Milbenmonster kamen mir plötzlich klobig vor. Was wohl die Kaufhausexpertin dazu sagen würde? Wahrscheinlich bereitet einem das gigantische europäische Format gar Halssteife und Kopfschmerzen. Doch solches Kulturgut einfach auszumisten, das brachte ich nicht über mich.
Nach zwei Monaten Reisen durch sieben Länder und Dutzende von Betten bin ich bald hoffentlich so weit. Der letzte Schritt zur endgültigen Assimilierung steht mir nach der Rückkehr in Neuseeland bevor. Soll auch ich in Zukunft unter brettharten Top Sheets ruhen? Erst mal Schonbezüge für die Kissen, denke ich. Aber erst zum 25-jährigen Einwanderungsjubiläum.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader