Die Wahrheit: Privilegienkontrolle in der Bahn

Es macht einfach keinen Spaß, erste Klasse im Zug zu fahren. Nicht wegen irgendwelcher Luxusschuldgefühle, sondern wegen der Mitpassagiere.

Eine Kopfstütze im Erste-Klasse-Abteil der Deutschen Bahn

„Für mich ist es Luxus, hin und wieder erster Klasse zu fahren“ Foto: Bernd Feil/MiS/imago

Die Süddeutsche Zeitung fragte vor ein paar Jahren diverse in Saus und Braus lebende Prominente: „Was ist für Sie Luxus?“

Fast alle antworteten stereotyp: „Zeit“ (Moritz Bleibtreu), „Zeit“ (Wolfgang Joop), „Zeit“ (Yvonne Catterfeld) oder „Zeit“ (Sarah Connor). Wobei mir die Boris Becker’sche Variation „Zeit zu haben, sich mal hängen zu lassen“ am besten gefiel. Vor allem angesichts seines später absolvierten Luxusurlaubs in zwei britischen Gefängnissen.

Für mich ist es Luxus, hin und wieder erster Klasse zu fahren. Meistens handelt es sich dabei um Fahrten, die mir von Veranstaltern oder Theatern bezahlt werden. Ich mag keinen Lärm. Und ich sitze gern während der Zugfahrt. Das war es auch schon.

Da ich aber ein Arbeiterkind bin, habe ich dabei trotzdem ein schlechtes Gewissen. Ich erinnere mich dann aber immer daran, dass ich mir weder eine Immobilie leisten kann, noch später eine anständige Rente bekommen werde – die aktuellen Berechnungen der Künstlersozialkasse liegen bei 550 Euro –, und gleich fühle ich mich nicht mehr dekadent.

Kürzlich hörte ich auf dem Weg zu meinem Sitzplatz eine Frau hinter mir in scharfem Grenzbeamtenton sagen: „Sie wissen schon, dass das hier die erste Klasse ist?“ Weil mir das nicht zum ersten Mal passierte, war mir klar, hier sprach keine Kontrolleurin. Ich drehte mich um und gab der Mit-Passagierin, einer Dame im mittleren Alter, meine Standard-Antwort: „Klar. Und? Haben sie ein Erste-Klasse-Ticket?“ Verwirrt schaute sie mich an. „Selbstverständlich!“ – „Und wie kommen Sie drauf, dass ich keins habe?“

Nicht dass ich damit rechnete, dass sie die Wahrheit sagen würde, dass vielleicht mein Kleidungsstil in Kombination mit meinem kanakoiden Aussehen ihre Alarmglocken läuten ließen, aber ich wollte doch wenigsten kurz ihr Stammeln genießen. Sie enttäuschte mich nicht und erklärte sich windend, dass sie ja viel Geld für das bisschen Luxus bezahle, dass sich aber immer wieder unrechtmäßig Menschen in die erste Klasse setzten und dann oft erst nach Stunden kontrolliert und des Wagens verwiesen würden. „Okay“, sagte ich, „aber wie kommen Sie darauf, dass ich so einer bin?“

In diesem Moment aber wurde mir klar, dass ich damit an ihren Gerechtigkeitssinn appelliert hatte. Und dass dieser Appell völlig sinnlos gewesen war, weil solche Menschen nur eine Sache gerecht finden: Ihre Privilegien.

Also wendete ich mich an den einzigen anderen – überraschten – Fahrgast im Abteil und sagte demonstrativ ermattet: „Ich fasse es nicht, da kauft man schon erster Klasse, um in Ruhe Zug zu fahren – und dann muss man sich von so jemandem anpöbeln lassen?“ Ich ließ mich in den Sitz plumpsen.

Zehn Minuten später, nachdem ich kontrolliert worden war, hörte ich hinter mir ein halblautes „Entschuldigung, das war nicht persönlich gemeint …“ Der Verweis auf die Privilegiengerechtigkeit hatte funktioniert. Geht doch.

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Autor, Theater-Dramaturg, Performer und Musiker. Hartmut El Kurdi schreibt Theaterstücke, Hörspiele (DLF / WDR), Prosa und für die TAZ und DIE ZEIT journalistische und satirische Texte. Für die TAZ-Wahrheit kolumniert er seit 2001. Buchveröffentlichungen (Auswahl): "Revolverhelden auf Klassenfahrt", "Der Viktualien-Araber", "Mein Leben als Teilzeit-Flaneur" (Edition Tiamat) / "Angstmän" (Carlsen) / "Als die Kohle noch verzaubert war" (Klartext-Verlag)

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kari

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