Die Wahrheit: Das Rollbrett vorm Blötschkopf
Warum bloß besteigen ergraute Männer Skateboards und gurken darauf besinnungslos durch Städte und Parks? Ein erschütternder Bericht aus der Fun-Zone.
Wenn ich an einer Skater-Anlage im Park den Kindern dabei zusehe, wie sie auf Skateboards, Inlinern und BMX-Rädern Kapriolen schlagen, bin ich voll neidischer Bewunderung. Ich könnte das schon rein theoretisch längst nicht mehr.
Unterbewusst habe ich mich an nachlassendes Reaktionsvermögen und zunehmende Gebrechlichkeit angepasst, suche automatisch mit dem Fahrrad nicht mehr jede Lücke, ziehe beim Fußball öfter zurück und springe nur noch aus geringen Höhen herunter.
In der Hinsicht würde ich mich am ehesten mit einem altersschwachen Tiger vergleichen, der notgedrungen zum Menschenfresser wird, weil diese komischen Turnbeutelvergessertiere zwar nicht besonders schmecken, aber auch nicht richtig weglaufen können, sondern stattdessen nur laut schreien. Und daran gewöhnt man sich, das hört ja auch immer schnell wieder auf.
Umso mehr wundere ich mich jedes Mal, wenn sich ebenfalls schon leicht osteoporöse Grauhaarige mit wackligen Beinchen, aber festem Blick auf so ein Rollbrett stellen, teils zum ersten Mal in ihrem Leben. Und wie sie dann Vogelscheuchen gleich erbärmlich mit ihren morschen Ärmchen herum rudern, um nicht sofort aus dem Stand wieder herunterzuplumpsen; ich kann das überhaupt nicht mit angucken, das tut mir körperlich weh.
Vermutlich ist das zugleich Höhe- und Tiefpunkt der berühmten Midlife-Crisis. Habe ich längst hinter mir, die Sache damals mit dem roten Pullover. Man fühlt sich fälschlicherweise noch jung, will noch mal diffus irgendwas vom Leben, weiß jedoch nicht so recht, was, und wirft es deshalb weg – klingt komisch, ist aber so. Zugegeben, die Gemeinten sind meist Anfang, Mitte vierzig und taumeln nicht wie ich stramm auf die Tausend zu, aber trotzdem: Das geht schlicht nicht mehr.
Am Schlafittchen packen
Ich möchte jeden Erwachsenen, der sich auf so ein Rollbrett stellt, und ich sage extra „Rollbrett“, weil es erstens eins ist, zweitens wir früher, also zu meiner Zeit, also kurz nach dem Krieg, es auch so genannt haben, und drittens, weil sich diese Berufsjugendlichen dann ärgern, weil das nun mal nicht so slick klingt wie Skateboard, ein Ausdruck, bei dem man leichter vergisst, dass man genauso gut ganz normal zu Fuß hätte gehen können, also wie normale Leute, denen die eigene Würde noch etwas bedeutet … jeden Menschen über vierzig möchte ich zu seinem eigenen Schutz am Ärmel oder Schlafittchen festhalten, wenn er gerade dabei ist, sich auf ein Rollbrett zu stellen, dann müsste ich ihn mahnen: „Denk doch bitte mal nach! Willst du sterben, oder was?“
Und ihn weiter fragen: „Ist das dein Ziel? Mit sämtlichen Knochen in winzigen Splittern über die Halfpipe verteilt daliegen, du Vollpfeife? Und zuvor noch jahrelang siech auf einem Weimarer-Republik-Kriegsveteranen-Rollwägelchen bettelnd durch die Fußgängerzone robben? Glaubst du im Ernst, darauf stehen die Frauen? Glaubst du, damit kannst du irgendwen beeindrucken? Ist das wirklich, was du willst?“
Überlasst das lieber den Kiddies. Die sind sowieso geschickter und leichter – wutsch! –, wie sie da im Park durch die Bowls und mit Schrauben, Slides und Salti über die Kanten sausen. Für jeden Notarzteinsatz, den hier ein überforderter Silver Skater verursacht, der sich endzeitmäßig auf die Fresse legt, wird hingegen stundenlang die Anlage gesperrt. Das ist von diesen Spielverderbern so unfair gegenüber den legitimen Nutzern.
Die Kinder brechen sich auch nicht so leicht was, weil sie biegsamere Knochen haben – und wenn ausnahmsweise doch, dann wächst die Stelle sofort wieder zusammen. Wie bei Eidechsen, die dem Angreifer mal eben ihren Schwanz überlassen wie ein wertloses Pfand, und dann bildet sich das Teil im Nullkommanix nach. Oder Regenwürmer, die mit dem Spaten in der Mitte durchtrennt wurden. Und, schwupps, ergänzt sich die andere Hälfte.
Danach ist wahrscheinlich der Kopf der Arsch oder umgekehrt, und auch das Geschlecht hat sich en passant geändert und vielleicht noch die Konfession oder die Blutgruppe. Das ist ihnen aber scheißegal; die Würmer sind in jeder Beziehung ultrafluide und veranstalten auch nicht solch einen Kulturkampf darum wie wir Menschen. „Es ist, wie es ist“, ist die unter Würmern mit Abstand beliebteste Redensart.
Irgendwas kaputt machen
Ich finde es ja toll, was die Jungen hier machen, und wie leicht das aussieht, obwohl bestimmt eine Menge Übung dahintersteckt. Wir haben in dem Alter immer nur heimlich hinterm Schuppen geraucht, gesoffen, oder irgendwas kaputt gemacht, und zwar egal was. Hauptsache sinnlos. Und Klingelstreiche. Von morgens bis abends Klingelstreiche, oft in Kombi mit irgendetwas sprengen, anzünden oder verschmutzen. Wir waren dermaßen destruktiv. Wir hatten so eine Scheißwut auf Eltern, Lehrer, Bullen, Politiker – überhaupt alle Erwachsenen, die in Variationen auch nur wieder Eltern spiegelten.
Das haben die Kinder heute alles nicht mehr nötig. Ihre Eltern herzen, kosen und verwöhnen sie in einem fort, die Lehrer geben schlimmstenfalls Einsminusse, die Polizei hebt scherzhaft den Zeigefinger und die Politiker haben eh bloß Schiss davor, dass die Goofen sie anschreien: „How dare you?!!!“ – und dass sie sich auf die Straße kleben und nichts mehr vorangeht, und dann werden sie, die Politiker, nicht wiedergewählt.
In ihrer Freizeit können die Jugendlichen dafür jetzt etwas Schönes machen, so wie hier im Skatepark. Ihre Renitenz können sie nämlich stecken lassen, denn alle haben immer nur Verständnis. Das ist so viel besser. Uns hat das Zerstören doch eigentlich auch keinen Spaß gemacht – selbstverständlich wäre ich stattdessen lieber auf einem dieser Rollbretter herumgefahren. Aber wir mussten es tun, es war Notwehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen