Die Wahrheit: Feuern aus allen Rohren
Mysteriöser Kundenrückgang bei amerikanischem Ballonfahrtunternehmen. Die Firmen sind ratlos. Was nur könnte der Grund sein?
Sam Snyders kann es nicht verstehen. In Battle Creek, einer kleinen Stadt in Michigan, sitzt der Betreiber des traditionsreichen amerikanischen Luftfahrtunternehmens „Red Balloon“ rätselnd an seinem Schreibtisch. In der rechten Hand hält er einen Füllfederhalter, mit dem er reihenweise Namen von einer Liste streicht. Kunden, die eine Ballonreise gebucht hatten, nun aber aus unerfindlichen Gründen nach und nach stornieren.
„What have I done wrong?“, murmelt er immer wieder. So etwas hat der 51-Jährige noch nie erlebt. Auch seine Marketingspezialisten sind ratlos: „Wir haben jetzt extra eine knalligere Werbekampagne gestartet, die die Ballonfahrt als etwas aufregender darstellt, als sie vielleicht ist.
Wir wollen vor allem eine jüngere Zielgruppe ins Visier nehmen und feuern echt aus allen Rohren!“, erzählt PR-Chef Winston Mayhem und pustet nebenbei gedankenverloren in einen Werbeballon, bis er explodiert. Der Ballon, nicht der PR-Chef.
Im Anschluss zeigt er uns eine riesige Billboard-Reklame: „Extreme Thrilling Balloon Ride“, steht da in großen Lettern. Daneben sieht man riesige Raketen und einen gigantischen Cowboy mit Revolver, das Maskottchen des Unternehmens. Doch der Nervenkitzel im Ballon scheint für viele nicht mehr interessant: „Die Kampagne war leider ein Schuss in den Ofen“, so Mayhem.
Ballast auf der Seele
Auch konkurrierende Unternehmen erleben derzeit heftigen Gegenwind und berichten von immer mehr Kunden, die ihnen einen Korb geben. Der plötzliche Abstieg seiner Branche macht dem Geschäftsführer von Red Balloon zu schaffen: „Das ist ein Ballast auf meiner Seele, den ich freilich nur schwer abwerfen kann. Es kommt einem so vor, als ob irgendwer Jagd auf uns machen würde“, beschreibt Snyders seine Gefühle und wittert sogar eine Verschwörung: „Glauben Sie mir: Ich blase die Sache nicht unnötig auf!“
Ein Versagen bei sich selbst sieht er aber nicht, einen Rücktritt schließt er aus: „Ich habe dieses Unternehmen und seine Crew schon durch viele Stürme navigiert. Im Ballongeschäft springt man nicht mittendrin einfach ab.“
Weil Snyders wirklich keine Ahnung zu haben scheint, worunter sein Geschäft leiden konnte, entschließen wir uns, den Elefanten im Raum endlich anzusprechen. Ob es dem Ruf der Ballonfahrt möglicherweise geschadet hat, dass Nena, die Sängerin von „99 Luftballons“, im Zuge der Pandemie mit wirrer Esoterikschwurbelei negativ aufgefallen ist? Das schließt der Amerikaner Snyders überzeugend aus: „Wer ist Nena?“
Gefühl der Unsicherheit
Doch woran liegt es dann? Einige Kunden, mit denen der Ballonunternehmer bei deren Absage am Telefon gesprochen hat, hätten nur vage angegeben, sich schlicht nicht mehr sicher zu fühlen: „Aber dafür gibt es überhaupt keinen Grund“, erklärt der Chef und bietet uns eine Testfahrt an, die wir einzig und allein aus Zeitgründen leider ausschlagen müssen. Stirnrunzelnd blickt Snyders aus dem Fenster in den Himmel über Nordamerika: „Unfälle hatten wir so gut wie nie! Und auch für Terroristen wäre die Planung eines Anschlags kaum möglich – unser Ballonfahrtkalender ist nirgendwo einzusehen, nicht mal das Militär weiß von unseren Flügen.“
Aufgeben will Red Balloon aber noch nicht. „Einen Pfeil habe ich noch im Köcher“, meint er und führt uns eine professionell produzierte TV-Werbung vor, die bald ausgestrahlt wird: „Feel like an Alien“, lautet der Slogan und zeigt den Ballon inmitten eines Schwarms fliegender Untertassen.
„Der Clip wird einschlagen wie eine Bombe! Unsere Werbe-Johnnys haben hier echt ins Schwarze getroffen! Das bringt sicher die Wende, da platzt der Knoten! Ich meine: Wenn nicht mal mehr das die Leute abholt, dann kann ich mir ja gleich die Kugel geben!“, ruft der Geschäftsmann optimistisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen