Die Wahrheit: Pardon, mein Schatz
Ganz oben im Dachgeschoss des Elternhauses liegen verborgene Kostbarkeiten aus längst vergangenen Zeiten.
R äum endlich dein Zimmer auf!“, befahl meine Mutter vor Kurzem. Ich wohne zwar schon seit Jahrzehnten nicht mehr zu Hause, aber sie sagte das sehr energisch. „Ick schmiete olles wech!“ Alles wegschmeißen? Das war so eindeutig wie endgültig.
Mutter will das Haus klar machen. Falls sie eines Tages ausziehen muss Richtung „Seniorenresidenz“. Dann soll hier alles „picobello“ sein und besenrein übergeben werden können. „Deine Bücherkisten stehen da schon, seit du von Kassel weggezogen bist nach Köln.“ Jaha, denke ich. Das ist schon etwas länger her, denn vor ein paar Jahren erst zog ich von Dortmund nach Minden zurück.
Ich hatte damals Teile meiner „Bibliothek“ untergestellt in meinem alten Kinderzimmer, unter dem „Dach juchhe“. Ein kleines Zimmer mit Dachschräge. Nur ein Meter 92 hoch, deshalb bin ich selbst vorsichtshalber unter ein Meter 70 geblieben, um nicht täglich anzustoßen.
„Middewirken is Altpapier“, fügte sie an. Mittwoch also. Morgen. Diese Drohung fruchtete. Ich stieg auf in mein altes Reich. Mein Vater hatte mühevoll in die Dachschräge Schränke eingebaut, aus Pressspannplatten, die er von Hand geschnitten hatte, mit einem kleinen Fuchsschwanz. An diese Schranktüren mit Magnetschnapper hatte ich mich jahrzehntelang nicht heran gewagt.
Jetzt fühlte ich mich wie ein Archäologe, der vor der neu entdeckten Grabkammer in einer ägyptischen Pyramide steht. Eine Art Indiana-Jones-Feeling. Ich hätte gern Hut und Peitsche gehabt und rechnete mit allem: Mumien, die ich mit Öffnen der Tür zum Leben wiedererwecken würde. Fleischfressende Skarabäen, die sich auf mich stürzen würden. Mit einem Klack löste sich die Magnetverbindung. Ich schaute in eine Schatzkammer!
Gleich vorn einige Ausgaben der legendären Satirezeitschrift Pardon. Im Schriftzug der den Hut lüftende Teufel anstelle des „a“ im Namen – erdacht und gezeichnet von F. K. Waechter. Oben auf meinem Stapel die Ausgabe 2/81, gekauft für „4.00 DM“. Das Titelbild: Eine Frau mit Baby an der Brust. Sie stillt, hat das Kind im Arm, aber auch eine Flasche Jägermeister in der Hand. Darunter, im typischen Duktus der damaligen Jägermeister-Werbung, spricht das Kind: „Ich trinke Jägermeister, weil meine Mami voll davon ist.“
Auf Seite 13 eine Gegendarstellung, zu der Jägermeister-Fabrikant Günter Mast die Pardon damals zwang – Streitwert eine Million Deutschmark –, nachdem in der Ausgabe zuvor die legendäre Werbeparodie von Ernst Volland abgedruckt worden war. Ein Mädchen mit Schnapsglas und Flasche: „Ich trinke Jägermeister, weil mein Dealer zur Zeit im Knast sitzt.“
Und das wollte unser Mudder ins Altpapier tun? „Nimmst du datt getz ok no miehe noa hus? Schmiet datt wech!“ Niemals, Mudder! Wie Gollum presse ich das Heft an mich. „Mein Schatz!“ Es käme in einen Rahmen, wenn man nicht immer wieder darin blättern müsste.
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