Die Wahrheit: Die Jeanne D’Arc von Köln-Nippes
Jetzt flippen auch noch die Katholiken aus. Am Rhein hat sich „von unge“ eine neue Gegen-Gegenbewegung gebildet.
Während der abgehetzt wirkende Pfarrer inmitten des dicht beieinanderstehenden Pulks mit hochrotem Kopf Hostien aus einem Stahleimer greift und von „Alaaf“-Rufen begleitet in die Menge wirft, segnet und als Antwort auf hingerufene Spontanbeichten Absolutionen im Schnellverfahren erteilt, sieht er sich panisch nach einem Ausweg aus der Sonntagsvormittagshölle um. Als ein prall gefüllter Bus mit bingoverrückten Senioren aus dem Rechtsrheinischen hupend um die Ecke biegt, wittert der Geistliche seine Chance. Er wirft Soutane und Hostieneimer im hohen Bogen ins ketzerische Volk und nutzt die durch das Gefährt entstandene Lücke zur Flucht.
Zehn Minuten später ist die Aktion der kölschen Rebellen beendet. Nachdem sich die himmlische Heerschar aufgelöst hat, um im kleinen Café der benachbarten St.-Ursula-Kirchengemeinde geschlossen das Waffelbuffet zu verwüsten, bleiben wir wie verabredet mit Margarete Schmitz-Pannenbäcker zurück.
Die pensionierte Religionspädagogin, die sich in den Grenzen des Erzbistums als „Jeanne D’Arc von Köln-Nippes“ einen Namen gemacht hat, ist Herz und Hirn der Protestbewegung „Rainer, jank!“, was auf Hochdeutsch wohl am ehesten als Aufforderung an den Erzbischof zu verstehen ist, sein Amt möglichst zeitnah und endgültig zur Verfügung zu stellen. „Wir glauben, dass echte Veränderungen nur von innen kommen können“, erklärt die 66-Jährige uns das Credo der radikalkatholischen Revoluzzertruppe, die den reformunwilligen Greisenverein nicht durch Kirchenaustritte, sondern über massenhafte Eintritte und einen erbarmungslosen Daueransturm auf das liturgische Angebot in die Knie zwingen will.
Rainer, jank!
Wie Schmitz-Pannenbäcker uns berichtet, ist seit der Gründung von „Rainer, jank!“ die Anzahl der Katholiken in der Domstadt exponentiell gestiegen und hat im vergangenen Jahr sogar ein neues Allzeithoch erreicht. „Versuche des Klerus, der Lage mithilfe einer breit angelegten Exkommunikationsstrategie Herr zu werden, haben wir durch den Import expressgetaufter Heiden aus Ostdeutschland immer wieder zurückschlagen können“, gibt sich die Theologin kämpferisch, als es aus dem nur einen Steinwurf entfernten Kölner Dom plötzlich Sturm läutet.
Schmitz-Pannenbäcker blickt auf die Uhr und bejubelt mit gereckter Faust und einem „YES!“-Ausruf das perfekte Timing ihrer Mitstreiter*innen. Offenbar ist es einem christlichen Spezialkommando gelungen, sich im Glockenstuhl zu verbarrikadieren und den „Decken Pitter“, dessen machtvoller Gong, der, abgesehen von wenigen Hochämtern im Jahr, in der Regel schweigt, im anarchistischen Dauerbetrieb dengeln zu lassen.
Wie uns die Ex-Lehrkraft erklärt, ist das für unzählige Aufständische überall in der Stadt das Signal, unverzüglich für den synodalen Umsturz aktiv zu werden. „Während unsere frommen Schwestern simultan und ohne Voranmeldung ihre persönliche Bewerbung beim erzbischöflichen Priesterseminar einreichen, werden die Männer mit multiplen Anfragen das Büro der katholischen Beratungsstelle für Ehe- und Familienfragen fluten. Den Anfang macht allerdings unser Bambinigeschwader, das gerade in diesem Moment für eine spontane Kommunionsstunde die Tür zu den Privatgemächern des Bischofs aufbrechen dürfte“, verkündet die Rheinländerin kichernd.
Papamobil vom Jugendtag
Alles in allem sei an der von langer Hand geplanten Kampagne halb Köln beteiligt. Die Chefrebellin selbst hat derweil in der Innenstadt einen Termin in eigener Sache, zu dem wir sie freundlicherweise begleiten dürfen. Auf dem Hinterhof der Kirchengemeinde wartet dafür das beim Weltjugendtag 2005 Benedikt dreist unterm Hintern weggeklaute Papamobil mit vollverglaster Empore, um uns langsam, aber stetig durch die winkende und Fähnchen wedelnde Protestmeute zum Zielpunkt zu bugsieren.
Nach einem zuvor klar festgelegten Prozessionsweg haben wir binnen weniger Stunden das Karnevalsfachgeschäft „Jeck im Rähn“ auf dem Kölner Neumarkt erreicht, in dem die Rentnerin heute eine sündhaft teure Kostümspezialanfertigung anprobieren möchte. Als Schmitz-Pannenbäcker wenig später auf der thronartigen Sitzgelegenheit Platz nimmt, staunen wir nicht schlecht. In ihrem prachtvollen Messgewand, dem brokatbestickten Mantel und der erhabenen Mitra wirkt sie buchstäblich zum Niederknien.
Noch etwas verlegen hält sie uns leicht errötend die Hand mit dem Fischerring vors Gesicht, den wir augenblicklich demütig abbusseln. Er ist ein wenig klobig und schmeckt nach Pfefferminz. Aber wenn sich der Erfolg der kölschen Reformerin erst im fernen Rom herumgesprochen hat, könnte sich das ziemlich bald ändern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren