Die Wahrheit: Mit erigiertem Zeigefinger
In Irland irren immer noch irre Prediger herum, die irre Predigten halten. Gott sei Dank ist das bald vorbei.
S ie können es nicht lassen. Irlands katholische Kirche hat nach all den Skandalen um Kindesmissbrauch und die jahrzehntelange Vertuschung durch die Hierarchie jegliche Autorität verspielt, aber manche Pfaffen laufen nach wie vor mit erigiertem Zeigefinger herum und belehren ihre Schäfchen über Sexualität, obwohl sie von dem Thema – zumindest offiziell – keinen blassen Schimmer haben.
Seán Sheehy zum Beispiel, ein pensionierter Priester aus Kerry im Südwesten der Insel, der vor acht Tagen für seinen Nachfolger Declan O’Connor eingesprungen ist, weil der auf Pilgerfahrt in Palästina weilte. Die Kirche war mit 200 Menschen recht gut gefüllt, und außerdem wurde die Messe live im Internet übertragen.
Sheehys Sonntagspredigt handelte von der Sünde, die in Irland angeblich ungezügelt grassiere. Bei Sex zwischen zwei Männern oder Sex zwischen zwei Frauen könnten sich die Beteiligten schon mal auf einen Aufenthalt in der Hölle gefasst machen, tobte Sheehy.
Auch die Mitarbeiter des irischen Gesundheitsdienstes müssen sich das Paradies abschminken, nachdem sie spät nachts vor einem Club in der Kleinstadt Tralee kostenlos Kondome verteilt haben. Als das in den siebziger Jahren in den USA geschehen sei, habe sich die Promiskuität schlagartig verdreifacht, rhabarberte Sheehy. Wer allerdings Buße tue und bereue, könne vor Satans Listen und Tücken gerettet werden.
Bischof Browne greift ein
Spätestens jetzt verließ ein Teil der Gemeinde aus Protest die Kirche. Damit Pfarrer O’Connor bei seiner Rückkehr von der Pilgerfahrt keine völlig leere Kirche vorfindet, entschuldigte sich Bischof Ray Browne für den Wüterich und versprach, ihn nie wieder auf die Kanzel zu lassen. Sheehy erklärte, er werde mundtot gemacht und fügte triumphierend hinzu: „Ich weiß, dass niemand das Gegenteil von dem, was ich sage, beweisen kann.“
Vergewaltiger haben von Gott hingegen nichts zu befürchten, meint Sheehy offenbar. Vor einiger Zeit bescheinigte er dem Sexualstraftäter Danny Foley einen tadellosen Charakter, umarmte ihn, sprach nach dessen rechtmäßiger Verurteilung von einem Fehlurteil und meinte, es sage ja wohl alles über das 22-jährige Opfer, dass sie eine ledige Mutter sei.
Warum der lokale Radiosender dem Klotzkopf nach seiner Moralpredigt auch noch eine Bühne bot und ihn interviewte, ist rätselhaft. Ob Politiker wie Leo Varadkar, der schwule Vize-Premierminister, in die Hölle kommen, wurde Sheehy gefragt. „Unbedingt“, rief er mehrmals. Dass die meisten Politiker in die Hölle gehören, stimmt zwar – aus allen möglichen Gründen, aber nicht wegen Homosexualität.
Zum Glück wird das Problem bald biologisch gelöst sein. Von den gut 2.000 Pfaffen in Irland sind 15 Prozent über 75, müssen aber wegen Nachwuchsmangel immer noch sonntags die Gemeinde bespaßen. 25 Prozent sind zwischen 60 und 75, und nur 2,5 Prozent sind unter 40. Bald ist der Spuk also vorbei. Gott sei Dank.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin