Die Wahrheit: Abschreckung für Girlies
Gewusst wie: Die Generation Cold-War weiß sich in jeder ausweglosen Lage zu wehren. Besonders nachts.
T heo schlug die Hände vors Gesicht. „Eine Runde Rachenputzer“, hauchte er Petris, dem Gumwirt, zu, „das ist ja nicht zum Aushalten!“
Raimund hatte erzählt, dass der alte Herr Bunk in ein Pflegeheim gezogen war und nebenan neuerdings eine Erstsemesterinnen-WG wohnte. Die Girls sahen so jung aus, als ob sie nur in Begleitung ihrer Eltern Alkohol kaufen durften, bekamen aber von gewissenlosen Dealern bunte Schnäpse in beliebigen Mengen und feierten jede Nacht Deutsch-Rap-Partys in Terrorlautstärke.
„Der Krach hat mich fertiggemacht!“, murmelte Raimund. Er sah aus wie der grimme Tod: Kalkweiß, die Augen tief in den Höhlen, die Wangen eingefallen – wir warteten darauf, dass das Bier, das er oben in sich reinschüttete, unten aus den Hosenbeinen wieder rausfloss.
„Früher wärst du rübergegangen und hättest mitgefeiert“, seufzte Theo, „Scheißmusik hin oder her!“ – „Hab ich ja versucht!“ – „Und?“ – „Sie haben mich für einen alten Knacker mit Lolitakomplex gehalten. Als ich irgendwann mein Handy rausgeholt und auf die Uhr geguckt habe, hat eine junge Frau behauptet, ich hätte sie beim Tanzen fotografiert, und mich niedergeschlagen.“ – „Hm.“ – „Kickboxerin.“ – „Ui!“
Ohropax, Couch
„Ich hab alles probiert“, jammerte Theo, „ich hab mir Ohrenstöpsel reingeschraubt, bin auf die Couch im Arbeitszimmer umgezogen, vorgestern haben sie dann eine Art Polonaise im Treppenhaus veranstaltet und Topfdeckel aneinandergeschlagen.“ – „Das ist echt nicht schön, aber musst du deswegen rumbrüllen und sie auffordern, endlich die Musik leiser zu machen? Wie Horst Kleinbürger höchstpersönlich?!“
Raimund seufzte. „Wenn ich nicht gebrüllt hätte, hätten sie mich nicht gehört. Hat sowieso nichts genützt.“ – „Sie haben dich ignoriert? Oha. Immerhin hast du nicht die Polizei gerufen.“ Raimund blickte zu Boden. „Du hast …? Raimund!“ – „Sie sind ja nicht gekommen. War wohl nicht kriminell genug.“
Er gähnte und rieb sich die Augen. „Muss echt mal wieder schlafen.“ – „Entspann dich, Raimund“, sagte Theo: „Mach Yoga oder so was.“ Raimund nickte, trank aus und ging.
Zwei Tage tauchte er im Café Gum nicht auf, dann trafen wir ihn in Ümits kleinem Supermarkt. Er strahlte, seine Augen glänzten. „Aha!“, rief Theo: „Es hat funktioniert! Ich wusste, du bist stärker als der Lärm.“ Raimund grinste. Zwei junge Frauen, die an uns vorbeigingen, grüßten ihn artig. Sie waren totenbleich und ihre Augen lagen tief in den Höhlen.
„Sind das die Nachbarinnen?“ Raimund grinste noch mehr. Dann sagte er: „Never mess with the Cold-War-Generation! Wir Kinder des Kalten Krieges haben noch Abschreckung gelernt, wir wissen, was ‚Zeitenwende‘ bedeutet, wir kennen uns aus mit Flexible Response! Das heißt in dem Fall: Laustärkeregler morgens um sechs auf Maximum und ‚21st Century Schizoid Man‘ von King Crimson. Das hält das härteste Girlie-Nervenkostüm nicht aus.“
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