Die Wahrheit: Spanische Schmankerln
Lebenslänglich Bayer: In der Spanien-Woche der Wahrheit werden natürlich bajuwarische Tapas verköstigt.
A ls ich neulich in München in einem dieser typischen, münchnerisch systemgastronomischen Ungemütlichkeitslokalen gesessen bin, in denen die Küchen dieser Welt mit sogenannten Schmankerln aus Bayern fusioniert werden, war ich ein wenig ratlos. Vor mir lag etwas, was ich vor ein paar Jahren, ohne groß darüber nachdenken zu müssen, als Brösel bezeichnet hätte. Aber war es wirklich ein Brösel? War es nicht viel eher ein Bonsai-Sushi auf Brezenbasis? Ich war mir nicht sicher. Wenn es ein Gericht war, ist es Fingerfood gewesen, denn Besteck hatte man mir keines serviert. Ich habe die vermeintliche Miniaturdelikatesse also zwischen Zeigefinger und Daumen genommen, mir in den Mund geschoben und gehofft, dass es nicht etwa ein Stück Fingernagel war. Einen Geschmack konnte ich nicht ausmachen, dafür war dieses Amuse-Gueule wahrscheinlich zu klein.
Das Schrumpfen von Speisen ist schon seit ein paar Jahren in München Trend. Schuld daran sind die Spanier und natürlich die horrenden Mieten, die schon so manchen Gastronomen auf merkwürdige Ideen gebracht haben. Aus Spanien jedenfalls kommt der seltsame Brauch, Nahrung nicht mittels eines handelsüblichen Tellergerichts aufzunehmen, sondern Stück für Stück auf kleinen Tellerchen, was man dann Tapas nennt. Die Fusioniererei in der Kulinarik hat nun das Phänomen der bayerischen Tapas hervorgebracht. Und so können Gläubige des Gourmetgotts Käfer zum Beispiel eine „gebackene Kalbshaxenpraline mit röscher Kräuterkruste“ bestellen oder eine „gebackene Weißwurstscheibe“. In anderen Lokalen gibt es einfach geschrumpfte Spezialitäten.
Wer sich etwa beim Reitinger in der Speckgürtelgemeinde Germering einen Schweinsbraten bestellt, muss beinahe schon eine Lupe bemühen, um den Knödel vom Fleisch unterscheiden zu können. Das ist vielleicht kein Wunder bei einem Preis von 3,90 Euro. Aber so ist das eben in und um eine Stadt herum, in der Wirte die Weißwurst scheibchenweise verkaufen müssen, um genug für die monatliche Pacht zu verdienen.
Stören mag sich so recht niemand über den Tapas-Wahn in der Stadt. Von Pogromen gegen spanische Migranten ist in der letzten Zeit nichts bekannt geworden. Bayern und Spanier haben sich aneinander gewöhnt und ein paar Lokale gibt es ja noch, in denen man satt wird, wenn man eine Portion Schweinsbraten bestellt. Es ist ja auch gut, dass man sich versteht. Das war schließlich nicht immer so. Das Verhältnis, das der bayerische König Ludwig I. zu einer Spanierin unterhielt, hat seinerzeit sogar zu einem wahren Volksaufstand geführt, in dessen Folge der Monarch 1848 abdanken musste. Dass jene Lola Montez gar keine Spanierin war, sondern sich nur als solche ausgab, vielmehr eine Irin namens Elizabeth Rosanna Gilbert gewesen ist, das wussten die Münchner damals ja nicht, als sie sich über die Zigarre rauchende Frau mokierten, die so gerne mit ihrer Dogge durch die Stadt spaziert ist.
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