Die Wahrheit: Gespaltene Fuchsienfreunde
Briten lieben die absurdesten Freizeitbeschäftigungen. Aber wer zur Hölle macht ein Gelee aus einem Nachtkerzengewächs?
G estern fand in Shepperton in der südenglischen Grafschaft Surrey eine Fuchsien-Show statt. Organisiert wurde sie von der britischen Fuchsien-Gesellschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Zuneigung zu diesem Nachtkerzengewächs zu fördern.
In Europa gibt es Fuchsien seit dem frühen 18. Jahrhundert. Merkwürdigerweise sind sie nach dem deutschen Mediziner und Botaniker Leonhart Fuchs benannt, der in seinem Leben nie eine Fuchsie zu Gesicht bekommen hatte, weil er 1566 in Tübingen gestorben ist. Der französische Botaniker Charles Plumier, der die Pflanze später entdeckte, benannte sie trotzdem nach ihm. Sein Kollege Joseph Pitton de Tournefort wiederum taufte Hundsgiftgewächse auf den Namen Plumeria, und Plumier revanchierte sich mit dem Namen Pittonia für Raublattgewächse.
Genug der botanischen Inzucht. Die Fuchsien-Show erinnerte mich an eine befreundete Redakteurin, die vor langer Zeit einen Artikel über Fuchsien-Gelee bei mir bestellt hatte. Damals gab es noch kein Internet. Doch, liebe junge Leserinnen und Leser, es gab eine Zeit vor dem Internet. Die Recherche erwies sich deshalb als schwierig. In einem obskuren Adressverzeichnis entdeckte ich schließlich die Telefonnummer eines Vereins der Fuchsienfreunde in Wales.
Der Anruf war verwirrend. Für das Fuchsien-Gelee sei der Schatzmeister zuständig, erklärte mir der Vereinsvorsitzende. Er selber wisse nichts über die Herstellung des Brotaufstrichs. Ich fragte, ob er mir die Telefonnummer geben könnte? Nein, grantelte er, man habe sich gerade gespalten. Plötzlich interessierte mich der Grund für das Zerwürfnis mehr als das Gelee, aber der Vorsitzende wollte nicht mit der Sprache herausrücken. Hatte sich der Schatzmeister vielleicht mit Geranien oder gar mit der Frau des Vorsitzenden eingelassen?
Es war nicht in Erfahrung zu bringen. Ich wurde an Bob Flowerdew verwiesen, Großbritanniens berühmtesten Botaniker, dessen Familie bereits seit dem 15. Jahrhundert in Norfolk gärtnert. Flowerdew, also Blumentau – er heißt wirklich so –, setzt sich dafür ein, Fuchsien nicht nur als Zierpflanzen, sondern als Obst zu betrachten. „Außerhalb von Fuchsien-Gesellschaften weiß man wenig darüber, wie gut Fuchsien-Gelee sein kann“, sagt er.
Der 70-Jährige, der früher als Finanzmanager, Nacktmodell und Reinigungskraft in einem Bordell gearbeitet hat, ist Präsident der Norfolk-Sektion der Soil Association, einer Organisation, die Bio-Zertifikate vergibt. Schirmherr ist Prinz Charles. Der Verein wurde 1945 von britischen Faschisten gegründet, erst in den sechziger Jahren legte man die rechtsextreme Gesinnung ab.
Der Verein der Fuchsienfreunde hat inzwischen eine eigene Webseite. Sie ist recht umfangreich, aber der Streit zwischen dem Präsidenten und dem Schatzmeister der walisischen Sektion wird mit keinem Wort erwähnt. Und einen Eintrag über Fuchsien-Gelee gibt es auch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken