Die Wahrheit: „Ich rief bei Roger Whittaker an“
Das Wahrheit-Interview: Der Frankenhauser Historiker Professor Georg Holzhaber will ab sofort die Geschichte abschaffen.
Die Fachhochschule in Frankenhausen ist derzeit noch eine weitgehend unbekannte, doch dafür umso aufstrebendere Reform-Universität, die inmitten pfälzischer Weinberge liegt. Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart zählt seit dem Beginn des Lehrbetriebs zum Kanon der kleinen, aber feinen Hochschule. Das ist nun nicht mehr der Fall. Der einzige bisherige Lehrstuhlinhaber für Geschichte, Professor Georg Holzhaber, erklärt im Gespräch mit der Wahrheit, wie es zu dieser überraschenden Kehrtwende in Frankenhausen kam.
taz: Herr Professor, warum haben Sie an Ihrer Reform-Universität ausgerechnet das Fach Geschichte abgeschafft? Sie sind jetzt arbeitslos dadurch …
Georg Holzhaber: Ja, das stimmt! Aber ich habe noch einen Nebenberuf als Ziegenflüsterer, der mich leidlich über Wasser hält. Doch zu Ihrer ersten Frage: Es ist die fundamentale Enttäuschung über meine Disziplin.
Sie sind unzufrieden mit der Geschichte? Mit der ganzen?
Im Grunde ja. Geschichte ist sinnlos. Das hat schon Ingeborg Bachmann vor Jahrzehnten moniert, als sie schrieb, dass die Geschichte ständig lehre, aber ihr niemand zuhöre.
Aber genau gegen diese Geschichtsvergessenheit kämpft doch Ihre forschende Zunft an. Warum die Abkehr davon?
Weil die Schwerhörigkeit seit damals noch zugenommen hat! Außerdem machen fast alle Menschen ihre eigene Geschichte ohne Rücksicht aufs Geschehen. Das geht so weit, dass die Bevölkerungspyramide für eine ägyptische Erfindung gehalten wird! Dieser Verwirrung muss vorgebeugt werden. Und deshalb muss man Geschichte abschaffen! Wer eigene Ansprüche mit vermeintlicher Geschichte begründet, der gehört in die Klapse. Schließlich war damals niemand dabei.
Aber die Abschaffung ist ein scharfes Schwert.
Guter Vorwurf, doch genau dazu habe ich ein sehr gutes Beispiel. Als ich noch Musikredakteur beim Sender hr4 war, wünschte sich eine Hörerin für ihren Mann das Lied „Liebe ist ein scharfer Säbel“ von Roger Whittaker. Das war das erste Mal, dass ich persönlich mit jemandem über Mikro einen Strauß ausfechten musste, weil mich gewisse Zweifel an dem Song beschlichen!
Und? Haben Sie den Song gespielt?
Nein, ich habe stattdessen bei Roger Whittaker angerufen. Der konnte sich aber leider weder an die Waffenwahl noch an die Geschichte überhaupt erinnern. Und genau das ist typisch!
Kommen wir mal zur Gegenwart. Was stimmt denn da alles nicht mehr?
Fast nichts stimmt da mehr, nicht mal mehr bei uns in Deutschland. Ich höre immer Grundgesetz? Wer hat denn heute überhaupt ein Grundgesetz zu Hause? Die Leute haben Internet und vielleicht noch Kochbücher!
Aber die Rezepte dafür sind doch historisch gewachsen.
Ach was, wenn ich koche, tue ich einfach alles rein, was ich gerade zu Hause habe. Und vor allem Ziegenkäse! Gehen Sie mir weg mit regionaler Küche!
Aber, Herr Professor Holzhaber, Sie können doch die deutsche Geschichte nicht einfach ausradieren! Die ist schließlich über tausend Jahre gewachsen, mit extremen Aufs und Abs.
Eben, die einen sehnen sich nach den Aufs und die anderen nach den Abs! Ohne die blöde Geschichte gäbe es gar nicht diese dumme historische Achterbahn, von der einem nur schlecht wird. Also, ich finde, es reicht, wenn man sich anständig verhält und den Nachbarn grüßt. Und ihn nicht mit Krieg überzieht, weil man ihm mit der Geschichte kommt. Genau deshalb gehört sie abgeschafft, die Geschichte. Weil dann der Grund entfällt.
Wie weit reicht Ihre Forderung nach Abschaffung der Geschichte zurück?
Auf jeden Fall bis hinter die Zeit der Dinosaurier. Auch da gibt es ja nationale Zuordnungen. Denken Sie nur an Albertosaurus oder Australotitan! Denken Sie, solch eine nationalistische Kategorisierung hilft weiter? Die haben doch überall jegliches niedergetrampelt und gefressen.
Woher wissen Sie das alles?
Na, weil ich doch mal Geschichtsprofessor war! Und da hab ich eingesehen, dass das alles nutzloser Mumpitz ist. Deshalb lehre ich jetzt mittlere und ältere Geschichtsvergessenheit an der Fachhochschule Frankenhausen – im nächsten Semester auch neuere und aktuelle Geschichtsvergessenheit.
Herr Professor, wir danken Ihnen für das Interview, das uns wohl in Erinnerung bleiben wird.
Bitte nicht!
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links